Doktor Faustus
Hotelzimmer nehmen und mich morgen nach etwas Passendem umsehen wolle.
»Ich verstehe«, sagte er, »daß du mich nicht beauftragt hast, dir etwas zu suchen. Man kann das keinem anderen überlassen. Ich habe«, setzte er hinzu, »den Leuten im Café Central von dir und deinem Kommen erzählt. Ich muß dich da bald einmal einführen.«
Mit den »Leuten« war der Kreis junger Intellektueller gemeint, deren Bekanntschaft er durch Kretzschmar gemacht hatte. Ich war überzeugt, daß er sich ungefähr zu ihnen verhielt, wie zu den Winfried-Brüdern in Halle, und als ich sagte, es sei ja erfreulich, daß er rasch schicklichen Anschluß gefunden habe in Leipzig, erwiderte er denn auch:
{235} »Nun, Anschluß …«
Schildknapp, der Dichter und Übersetzer, fügte er hinzu, sei noch das Wohltuendste. Aber er habe es an sich, daß er aus einer Art von nicht gerade superiorem Selbstgefühl immer versage, sobald er merke, daß man etwas von ihm wolle, ihn brauche, ihn in Anspruch zu nehmen versuche. Ein Mensch von sehr starkem, oder vielleicht auch etwas schwächlichem Unabhängigkeitssinn, sagte er. Aber sympathisch, unterhaltlich und übrigens geldlich so knapp gestellt, daß er selber sehen müsse, wie er durchkomme.
Was er von Schildknapp gewollt hätte, der als Übersetzer in nahem Verhältnis zur englischen Sprache lebte und überhaupt ein warmer Verehrer alles Englischen war, stellte sich in weiteren Gesprächen noch diesen Abend heraus. Ich erfuhr, daß Adrian nach einem Opern-Sujet Ausschau hielt, und daß er schon damals, Jahre bevor er sich ernstlich der Aufgabe näherte, ›Love's Labour Lost‹ dafür ins Auge gefaßt hatte. Was er von dem auch musikalisch bewanderten Schildknapp wünschte, war die Einrichtung des Textes; aber jener wollte, teils um seiner eigenen Arbeiten willen, teils auch wohl, weil Adrian ihn vorderhand kaum hätte entschädigen können, nichts davon wissen. Nun, später habe ich dem Freunde diesen Dienst geleistet und denke gern an das erste, vortastende Gespräch zurück, das wir schon an jenem Abend über den Gegenstand führten. Ich stellte fest, daß die Tendenz zur Vermählung mit dem Wort, zur vokalen Artikuliertheit ihn mehr und mehr beherrschte: er versuchte sich jetzt fast ausschließlich in der Komposition von Liedern, kurzen und längeren Gesängen, ja epischen Bruchstücken, wobei er seinen Stoff einer mittelmeerischen Blütenlese entnahm, die, in ziemlich glücklicher deutscher Übersetzung, provençalische und catalonische Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts, italienische Dichtung, visionäre Höhepunkte der Divina Commedia, dann Spanisches und Portugiesisches {236} umfaßte. Es war, der musikalischen Stunde nach, und nach den Jahren des Adepten, fast unvermeidlich, daß hier und dort der Einfluß Gustav Mahlers spürbar war. Aber schon wollten ein Laut, eine Haltung, ein Blick, eine allein wandelnde Weise wahrgenommen sein, die fremd und streng auf sich selbst bestanden, und an denen man heute den Meister der grotesken Gesichte der Apocalipsis wiedererkennt.
Am deutlichsten meldete dieser sich an in den Gesängen der Reihe, die dem Purgatorio, dem Paradiso entnommen und mit klugem Sinn für ihre Affinität zur Musik gewählt sind: so etwa in dem Stück, das mich besonders einnahm, und das auch Kretzschmar sehr gut geheißen hatte, wo der Dichter im Licht des Venusgestirns die kleineren Lichter – es sind die Geister der Seligen – die einen rascher, die anderen langsamer, »je nach der Art ihrer Gottbetrachtung«, ihre Kreise ziehen sieht und dies den Funken vergleicht, die man in der Flamme, den
Stimmen
, die man im Gesange unterscheidet, »wenn sich die eine um die andre schlingt«. Ich war erstaunt und entzückt über die Wiedergabe der Funken im Feuer, der sich verschlingenden Stimmen. Und doch wußte ich nicht, ob ich diesen Phantasieen über das Licht im Lichte oder den grüblerischen, mehr gedachten als geschauten Stücken den Vorzug geben sollte, – denen, wo alles zurückgewiesene Frage, Ringen ums Unergründliche ist, wo »der Zweifel am Fuß der Wahrheit sprießt« und selbst der Cherub, der in Gottes Tiefe blickt, den Abgrund des ewigen Entschlusses nicht ermißt. Adrian hatte da etwa die furchtbar harte Folge von Versen gewählt, wo von der Verdammnis der Unschuld, der Unbelehrtheit die Rede ist und nach der unbegreiflichen Gerechtigkeit gefragt wird, die den Guten und Reinen, nur eben nicht Getauften, vom Glauben nicht Erreichten der Hölle
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