Doktor Faustus
aufgesetztem Schrank und schrieb Noten.
»Hallo«, sagte er, ohne aufzublicken. »Gleich können wir reden.« Und fuhr noch einige Minuten in seiner Arbeit fort, indem er es mir überließ, ob ich stehen bleiben oder es mir bequem machen wollte. Man muß das so wenig mißverstehen, wie ich es tat. Es war ja ein Beweis alt-gesicherter Intimität, eines Zusammenlebens, das durch die einjährige Trennung gar nicht hatte berührt werden können. Es war einfach, als wäre unser Abschied gestern gewesen. Trotzdem war ich ein wenig enttäuscht und beschnieen, wenn auch erheitert zugleich, wie das Charakteristische uns erheitert. Längst hatte ich mich auf einem der mit Teppichstoff überzogenen Fauteuils ohne Armlehnen niedergelassen, die den Büchertisch flankierten, als er den Füllfederhalter zuschraubte und zu mir trat, ohne mich auch nur recht anzusehen.
»Du kommst gerade recht«, sagte er und setzte sich an die andere Seite des Tisches. »Das Schaffgosch-Quartett spielt Opus 132 heute Abend. Du gehst doch mit?«
Ich verstand, daß er von Beethovens Spätwerk, dem Streichquartett in a-moll sprach.
»Wie ich da bin«, erwiderte ich, »gehe ich mit. Es wird gut sein, den lydischen Satz, den ›Dankgesang eines Genesenen‹ nach langer Zeit einmal wieder zu hören.«
{233} »Den Becher«, sagte er, »leer' ich jeden Schmaus. Die Augen gehen einem über!« Und er fing an, von den Kirchentonarten und dem Ptolomäischen Tonsystem, dem »natürlichen«, zu sprechen, dessen sechs verschiedene Klangcharaktere durch die temperierte, i.e. die falsche Stimmung auf zwei, dur und moll, reduziert wurden, und von der modulatorischen Überlegenheit der richtigen Tonleiter über die temperierte. Diese nannte er einen Kompromiß für den Hausgebrauch, wie ja auch das temperierte Klavier ein Ding sei, recht für den Hausgebrauch, einen vorläufigen Friedensvertrag, keine 150 Jahre alt, der allerlei Beträchtliches zuwege gebracht habe, oh, sehr Beträchtliches, von dem wir uns aber nicht einbilden sollten, daß er für die Ewigkeit geschlossen sei. Er sprach sein großes Gefallen darüber aus, daß es ein Astronom und Mathematiker gewesen sei, Claudius Ptolomäus, ein Mann aus Ober-Ägypten, wohnhaft in Alexandria, der die beste aller bekannten Skalen, die natürliche oder richtige, aufgestellt habe. Das beweise aufs neue, sagte er, die Verwandtschaft von Musik und Himmelskunde, wie sie schon durch die kosmische Harmonielehre des Pythagoras bewiesen worden sei. Zwischendurch kam er auf das Quartett und seinen dritten Satz, die fremde Luft, die Mondlandschaft desselben zurück und auf die enorme Schwierigkeit der Aufführung.
»Im Grunde«, sagte er, »muß jeder der viere ein Paganini sein und dabei nicht nur den eigenen Part beherrschen, sondern die der drei anderen auch, sonst ist kein Auskommen. Gottlob ist auf die Schaffgosch-Leute Verlaß. Man kann es heute, aber es steht an der Grenze des Spielbaren und war zu seiner Zeit einfach nicht spielbar. Die erbarmungslose Gleichgültigkeit eines Entstiegenen gegen das Irdisch-Technische gehört für mich zum Allerbelustigendsten. ›Was geht mich Ihre verdammte Geige an!‹ sagte er zu einem, der sich beklagte.«
Wir lachten – und das Eigentümliche war nur, daß wir uns überhaupt nicht begrüßt hatten.
{234} Übrigens, sagte er, sei da auch noch der vierte Satz, das unvergleichliche Finale mit der kurzen marschartigen Einleitung und jenem stolz hingelegten Recitativ der ersten Geige, womit so passend wie möglich das Thema vorbereitet wird. »Es ist nur ärgerlich, – wenn du es nicht erfreulich nennen willst –, daß es in der Musik – wenigstens in dieser Musik – Dinge gibt, für die im ganzen Bereich der Sprache beim besten Willen kein wirklich charakterisierendes Beiwort, auch keine Kombination von Beiworten aufzutreiben ist. Ich habe mich dieser Tage damit geplagt, – du findest keine adäquate Bezeichnung für den Geist, die Haltung, die Gebärde dieses Themas. Denn es ist viel Gebärde darin. Tragisch-kühn? Trotzig, emphatisch, das Elanhafte ins Erhabene getrieben? Alles nicht gut. Und ›herrlich!‹ ist natürlich nur eine alberne Kapitulation. Man landet zuletzt bei der sachlichen Vorschrift, dem Namen: Allegro appassionato, das ist noch das Beste.«
Ich stimmte ihm zu. Vielleicht, meinte ich, würde uns abends noch etwas einfallen.
»Du mußt Kretzschmar bald sehen«, fiel ihm ein. »Wo wohnst du?«
Ich sagte ihm, daß ich für heute irgendein
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