Doktor Faustus
alles andere, als daß auch ein Fußfassen des Feindes auf dem italienischen Haupt- und Festlande möglich sei. Unglücklicherweise hat es sich ermöglichen lassen, und vorige Woche ist in Neapel ein kommunistischer, den Alliierten behilflicher Aufstand ausgebrochen, der die Stadt nicht länger als einen deutscher Truppen würdigen Aufenthalt erscheinen ließ, so daß wir sie, nach gewissenhafter Zerstörung der Bibliothek und mit Hinterlassung einer Zeitbombe im Hauptpostamt, erhobenen Hauptes geräumt haben. Unterdessen spricht man von Invasionsproben im Kanal, der mit Schiffen bedeckt sein soll, und der Bürger fragt sich, gewiß unerlaubterweise, ob nicht, was in Italien geschah und weiter, die Halbinsel hinauf, geschehen mag, gegen allen vorgeschriebenen Glauben an die Unverletzlichkeit der Feste Europa auch in Frankreich, oder wo sonst immer, geschehen kann.
Ja, Monsignore Hinterpförtner hat recht: wir sind verloren. Will sagen: der Krieg ist verloren, aber das bedeutet mehr, als einen verlorenen Feldzug, es bedeutet tatsächlich, daß
wir
verloren sind, verloren unsere Sache und Seele, unser Glaube und unsere Geschichte. Es ist aus mit Deutschland, wird aus mit ihm sein, ein unnennbarer Zusammenbruch, ökonomisch, politisch, moralisch und geistig, kurz allumfassend, zeichnet sich ab, – ich will es nicht gewünscht haben, was droht, denn es ist die Verzweiflung, ist der Wahnsinn. Ich will es nicht gewünscht haben, weil viel zu tief mein Mitleid, mein jammervolles Erbarmen ist mit diesem unseligen Volk, und wenn ich an seine Erhebung und blinde Inbrunst, den Aufstand, den Aufbruch, Ausbruch und Umbruch, den vermeintlich reinigenden Neu {256} beginn, die völkische Wiedergeburt von vor zehn Jahren denke, – diesen scheinbar heiligen Taumel, in den sich freilich, zum warnenden Zeichen seiner Falschheit, viel wüste Roheit, viel Schlagetot-Gemeinheit, viel schmutzige Lust am Schänden, Quälen, Erniedrigen mischte, und der, jedem Wissenden unverkennbar, den Krieg, diesen ganzen Krieg schon in sich trug – so krampft sich mir das Herz zusammen vor der ungeheueren Investition an Glauben, Begeisterung, historischem Hoch-Affekt, die damals getätigt wurde und nun in einem Bankerott ohnegleichen verpuffen soll. Nein, ich will's nicht gewünscht haben – und hab' es doch wünschen müssen – und weiß auch, daß ich's gewünscht habe, es heute wünsche und es begrüßen werde: aus Haß auf die frevlerische Vernunftverachtung, die sündhafte Renitenz gegen die Wahrheit, den ordinär schwelgerischen Kult eines Hintertreppenmythus, die sträfliche Verwechslung des Heruntergekommenen mit dem, was es einmal war, den schmierenhaften Mißbrauch und elenden Ausverkauf des Alt- und Echten, des Treulich-Traulichen, des Ur-Deutschen, woraus Laffen und Lügner uns einen sinnberaubenden Giftfusel bereitet. Der Riesenrausch, den wir immer Rauschlüsternen uns daran tranken, und in dem wir durch Jahre trügerischen Hoch-Lebens ein Übermaß des Schmählichen verübten, – er muß bezahlt sein. Womit? Ich habe das Wort schon genannt, in Verbindung mit dem Worte »Verzweiflung« sprach ich es aus. Ich werde es nicht wiederholen. Nicht zweimal überwindet man das Grauen, mit dem ich es dort weiter oben, unter einem bedauerlichen Ausfahren der Buchstaben, niederschrieb.
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Auch Sternchen sind eine Erquickung für Auge und Sinn des Lesers; es muß nicht immer gleich der stärker gliedernde Neu-Anhub einer römischen Ziffer sein, und unmöglich konnte ich dem vorstehenden Exkurs ins Gegenwärtige, von Adrian Le {257} verkühn nicht mehr Erlebte, den Charakter eines eigenen Hauptstückes zugestehen. Nach Klärung des Druckbildes durch die beliebte Figur, werde ich vielmehr diesen Abschnitt mit einigen weiteren Mitteilungen über Adrians Leipziger Jahre vervollständigen, ohne mir zu verbergen, daß er auf diese Weise, als Kapitel genommen, ein recht uneinheitliches Aussehen gewinnt, aus heterogenen Bestandteilen zusammengesetzt erscheint, – da es doch genug wäre, daß es mir schon mit dem vorigen nicht besser ergangen ist. Lese ich nach, was da alles zur Sprache kam: Adrians dramatische Wünsche und Pläne, seine frühesten Lieder, die schmerzliche Art zu blicken, die er während unserer Trennung angenommen, geistig verlockende Schönheiten der Shakespeare'schen Komödie, Leverkühns Vertonungen fremdsprachiger Gedichte und sein scheuer Kosmopolitismus, dazu der Bohême-Club des Café Central, an dessen Erwähnung sich
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