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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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an anderen Stätten hochgetriebener Kultur, etwa im intellektuellen Paris, mit dem Altstädtisch-Bürgerlichen verbunden ist. Hier war ein geheimer Berührungspunkt. Andererseits begegnete das introvertierte Schweizer Mißtrauen gegen den Reichsdeutschen hier einem besonderen Fall deutschen Mißtrauens gegen die »Welt«, – so sonderbar es scheinen mag, wenn man das enge Nachbarländchen im Gegensatz zum weiten und mächtigen deutschen Reich mit seinen Riesenstädten als »Welt« bezeichnet. Es hat aber damit seine unbestreitbare Richtigkeit: Die Schweiz, neutral, mehrsprachig, französisch beeinflußt, von westlicher Luft durchweht, ist tatsächlich, ihres winzigen Formates ungeachtet, weit mehr »Welt«, weit mehr europäisches Parkett als der politische Koloß im Norden, wo das Wort »international« seit langem ein Schimpfwort ist und ein dünkelmütiger Provinzialismus die Atmosphäre verdorben und stockig gemacht hat. Nun habe ich von Adrians innerem Kosmopolitismus schon gesprochen. Aber deutsche Weltbürgerlichkeit war wohl immer etwas anderes, als Weltlichkeit, und mein Freund war ganz die Seele, sich vom Mondänen beklemmt, sich nicht davon aufgenommen zu fühlen. Um einige Tage früher schon, als Kretzschmar, kehrte er nach Leipzig zurück, dieser gewiß welthaltigen Stadt, wo aber das Weltliche mehr zu Gast, als zu Hause ist, – dieser lächerlich redenden Stadt, wo zuerst die Begierde seinen Stolz angerührt hatte: eine tiefe Erschütterung, ein Erlebnis von Tiefe, wie er es der Welt nicht zutraute, und das, wenn ich alles recht sehe, nicht wenig dazu beitrug, ihn scheu gegen diese zu machen.
    Adrian behielt, ohne zu wechseln, während der ganzen viereinhalb Jahre, die er in Leipzig verbrachte, seine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Petersstraße, nahe dem Collegium Beatae Virginis, wo er das »Magische Quadrat« wieder über dem Pianino befestigt hatte. Er hörte philosophische und musikhistorische {263} Vorlesungen, las und exzerpierte auf der Bibliothek und brachte Kretzschmar seine kompositorischen Übungen zur Kritik: Klavierstücke, ein »Konzert« für Streichorchester und ein Quartett für Flöte, Clarinette, Corno di Bassetto und Fagott, – ich nenne die Stücke, die mir bekannt wurden, und die erhalten geblieben, wenn auch niemals veröffentlicht worden sind. Was Kretzschmar tat, war, ihn auf flaue Stellen hinzuweisen, ihm Tempokorrekturen, die Belebung eines starr wirkenden Rhythmus, die stärkere Profilierung eines Themas zu empfehlen. Er wies ihn auf eine Mittelstimme hin, die im Sande verlief, auf einen Baß, der liegen blieb, statt sich zu bewegen. Er legte den Finger auf einen Übergang, der nur äußerlich zusammenhielt, sich nicht organisch ergab, den natürlichen Fluß der Komposition in Frage stellte. Er sagte ihm eigentlich nur, was der Kunstverstand des Schülers ihm selbst hätte sagen können, und was er ihm schon gesagt hatte. Ein Lehrer ist das personifizierte Gewissen des Adepten, das ihn in seinen Zweifeln bestätigt, ihm seine Unzufriedenheit erläutert, seinen Verbesserungsdrang spornt. Ein Schüler wie Adrian aber brauchte im Grunde gar keinen Korrektor und Meister. Bewußt brachte er ihm Unfertiges, um sich darüber sagen zu lassen, was er selber schon wußte, – und sich dann über den Kunstverstand lustig zu machen, denjenigen des Lehrers, der mit dem seinen durchaus zusammentraf, – den Kunst
verstand
 – man muß den Ton auf den zweiten Bestandteil des Wortes legen –, der der eigentliche Anwalt der Werk-Idee ist, – nicht der Idee
eines
Werkes, sondern der Idee des opus selbst, des in sich ruhenden, objektiven und harmonischen Gebildes überhaupt, – der Manager seiner Geschlossenheit, Einheit, Organik, der Risse verklebt, Löcher stopft, jenen »natürlichen Fluß« zu Wege bringt, der ursprünglich nicht vorhanden war und also gar nicht natürlich, sondern ein Kunstprodukt ist, – kurz, nachträglich erst und mittelbar stellt dieser Manager den Eindruck des Unmittelbaren und {264} Organischen her. An einem Werk ist viel Schein, man könnte weiter gehen und sagen, daß es scheinhaft ist in sich selbst, als »Werk«. Es hat den Ehrgeiz, glauben zu machen, daß es nicht gemacht, sondern entstanden und entsprungen sei, gleichwie Pallas Athene im vollen Schmuck ihrer ciselierten Waffen aus Jupiters Haupt entsprang. Doch das ist Vorspiegelung. Nie ist ein Werk so hervorgetreten. Es ist ja Arbeit, Kunstarbeit zum Zweck des Scheins – und nun fragt es sich,

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