Doktor Faustus
Gottesvorstellung der Psalmenpoeten, bei denen Gott bereits vollständig in den Himmel verbannt ist, und die beständig von Gott im Himmel singen, wo doch der Pentateuch den Himmel als Sitz der Gottheit gar nicht kennt. Dort geht der Elohim dem Volk in einer Feuersäule voran, dort will er im Volke wohnen, im Volke umhergehen und seinen
Schlachttisch
haben, – um das dünne und menschheitliche Spätwort ›Altar‹ zu vermeiden. Sollte man es für möglich halten, daß ein Psalmist Gott fragen läßt: ›Esse ich denn das Fleisch der Stiere und trinke ich das Blut der Böcke?‹ So etwas Gott in den Mund zu legen ist nun schon einfach unerhört, ein Schlag impertinenter Aufklärung ins Gesicht des Pentateuch, der das Opfer ausdrücklich als ›das Brot‹, {411} also als die wirkliche Nahrung Jahwes bezeichnet. Es ist nur ein Schritt von dieser Frage, aber auch schon von den Redensarten des weisen Salomo, bis zu Maimonides, dem angeblich größten Rabbiner des Mittelalters, einem Aristotelischen Assimilanten in Wahrheit, der es fertig bringt, die Opfer als eine Konzession Gottes an die heidnischen Instinkte des Volkes zu
›erklären‹
, ha, ha! Gut, das Opfer von Blut und Fett, das einst, gesalzen und mit Reizgerüchen gewürzt, den Gott speiste, ihm einen Körper machte, ihn zur Gegenwart anhielt, ist für den Psalmisten nur noch ein ›Symbol‹«; (ich höre noch den Akzent unbeschreiblicher Verachtung, mit dem Dr. Breisacher dies Wort aussprach) »man schlachtet nicht mehr das Tier, sondern, es ist kaum zu glauben, Dank und Demut. ›Wer Dank schlachtet‹, heißt es nun, ›der ehrt mich.‹ Und ein ander Mal: ›Die Schlachtopfer Gottes sind ein reuiges Gemüt.‹ Kurzum, Volk und Blut und religiöse Wirklichkeit ist das längst nicht mehr, sondern humane Wassersuppe …«
Dies als Probe von Breisachers hoch-konservativen Expektorationen. Es war so amüsant wie widerwärtig. Er konnte sich nicht genug darin tun, den echten Ritus, den Kult des realen und keineswegs abstrakt universellen, darum auch nicht »allmächtigen« und »allgegenwärtigen« Volksgottes als eine magische Technik, eine körperlich nicht ungefährliche Manipulation des Dynamischen hinzustellen, bei der es leicht zu Unglücksfällen, katastrophalen Kurzschlüssen infolge von Fehlern und Mißgriffen kommen konnte. Die Söhne Arons waren gestorben, weil sie »artfremdes Feuer« herangebracht hatten. Das war so ein technischer Unglücksfall, die kausale Folge eines Fehlers. Einer namens Usa hatte unbesonnen den Kasten, die sogenannte Bundeslade, angefaßt, als sie beim Transport vom Wagen zu gleiten drohte, und war sofort tot umgefallen. Das war ebenfalls so eine transzendental-dynamische Entladung, entstanden durch Fahrlässigkeit, und zwar {412} durch die Fahrlässigkeit des allzu viel die Harfe spielenden Königs David, der nämlich auch schon nichts mehr verstand und nach Philisterart den Kasten auf einem Wagen befördern ließ, statt ihn nach der nur zu wohl begründeten Vorschrift des Pentateuch auf Tragstangen tragen zu lassen. David war eben bereits nicht weniger ursprungsfremd und verdummt, um nicht zu sagen: verroht gewesen, wie Salomo. Von den dynamischen Gefahren einer Volkszählung etwa hatte er nichts mehr gewußt und durch die Veranstaltung einer solchen einen schweren biologischen Schlag, eine Epidemie, ein Sterben herbeigeführt, als voraussehbare Reaktion der metaphysischen Volkskräfte. Denn ein echtes Volk ertrug einfach nicht solche mechanisierende Registrierung, die numerierende Auflösung des dynamischen Ganzen in gleichartige Einzelne …
Es war Breisachern nur lieb, daß eine Dame einschaltete, sie habe gar nicht gewußt, daß eine Volkszählung eine solche Sünde sei.
»Sünde??« erwiderte er in übertriebenem Frageton. Nein, in der echten Religion eines echten Volkes kämen solche matt theologischen Begriffe wie »Sünde« und »Strafe« in ihrem bloß noch ethischen Kausalzusammenhang gar nicht vor. Um was es sich handle, sei die Kausalität von Fehler und Betriebsunfall. Religion und Ethik hätten nur insofern etwas mit einander zu tun, als diese den Verfall der ersteren darstelle. Alles Moralische war ein »rein geistiges« Mißverständnis des Rituellen. Gab es etwas Gottverlasseneres als das »Rein Geistige«? Den charakterlosen Weltreligionen sei es vorbehalten geblieben, aus dem »Gebet«, sit venia verbo, eine Bettelei, ein Gnadengesuch, ein »Ach du Herr« und »Gott, erbarme dich«, ein »Hilf« und
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