Doktor Faustus
Gesellschaft zu bleiben, – mit netten, zutraulichen Dialekt-Redensarten wie: »Gehn' S, san' S {429} fesch, bleiben' S da!« –, wodurch ihr solches Zureden von seiner Seite, wie es ihr auch wohl vorgekommen sei, und wie es mir vorkommen möge, auf immer entwertet worden sei.
Kurz, sie bekannte sich zu einem schmerzlichen Mißtrauen in seinen Ernst, seine Sympathiebezeugungen und Aufmerksamkeiten: wenn man etwa krank sei und er komme, nach einem zu sehen. Das geschehe alles, wie ich selbst noch erfahren würde, nur »in netter Weise« und weil er es für passend, für gesellschaftlich angezeigt halte, nicht aus tieferem Antrieb; man dürfe sich nur ja nichts daraus machen. Wirklicher Geschmacklosigkeiten müsse man sich auch von ihm versehen, zum Beispiel des greulichen Ausrufs: »Es sind schon so viele unglücklich!« Das habe sie mit eigenen Ohren von ihm gehört. Jemand habe ihn im Scherz gewarnt, ein Mädchen, oder vielleicht habe es sich auch um eine verheiratete Frau gehandelt, nicht unglücklich zu machen, und darauf habe er tatsächlich im Übermut geantwortet: »Ach, es sind schon so viele unglücklich!« Man habe da nur bei sich denken können: »Bewahre der Himmel einen jeden! Welche lächerliche Schmach, zu denen zu gehören!«
Übrigens wolle sie nicht zu hart sein, – was sie mit dem Worte »Schmach« vielleicht gewesen sei. Ich möge sie nicht mißverstehen: an einem gewissen edleren Fond von Rudolfs Wesen sei nicht zu zweifeln. Zuweilen könne man ihn in Gesellschaft mit einer gedämpften Antwort, einem einzigen stillen und fremden Blick der lauten, gewöhnlichen Stimmung entreißen, ihn gewissermaßen dem ernsteren Geiste gewinnen. O, dem scheine er so manches Mal wirklich gewonnen, außerordentlich beeinflußbar wie er ja sei. Langewiesches und Rollwagens, und wie sie hießen, seien dann nur noch Schatten und Schemen für ihn. Aber freilich, es genüge, daß er andere Luft geatmet habe, anderen Einflüssen ausgesetzt gewesen sei, damit vollständige Entfremdung, hoffnungslose Fernheit an die {430} Stelle des Vertrauens, des Einander Verstehens träten. Das fühle er dann, denn er sei ja feinfühlig, und suche reuig, es gutzumachen. Es sei komisch-rührend, aber um sich wieder in Beziehung zu bringen, wiederhole er dann wohl irgend ein mehr oder weniger gutes Wort, das man selbst einmal gesprochen, oder das Wort eines Buches, das man gelegentlich angeführt, – zum Zeichen, daß er es nicht vergessen habe und im Höheren zu Hause sei. Im Grunde sei es zum Tränenvergießen. Und schließlich sein Abschiednehmen für diesen Abend, – dabei zeige sich auch wohl seine Bereitschaft zur Reue und Korrektur. Er komme und verabschiede sich mit Dialekt-Jökeleien, die einem die Miene verzögen, und auf die die Müdigkeit vielleicht etwas leidend reagiere. Nachdem er dann aber rundum den andern die Hand gegeben, kehre er noch einmal zurück und sage einfach und herzlich Adieu, worauf natürlich ein besser Erwidern sei. So habe er einen guten Abschluß, denn den müsse er haben. Auf den zwei Gesellschaften, die er danach noch besuche, mache er's wahrscheinlich wieder so …
Ist es genug? Dies ist kein Roman, bei dessen Komposition der Autor die Herzen seiner Personagen dem Leser indirekt, durch szenische Darstellung erschließt. Als biographischer Erzähler steht es mir durchaus zu, die Dinge unmittelbar bei Namen zu nennen und einfach seelische Tatsachen zu konstatieren, welche auf die von mir darzustellende Lebenshandlung von Einfluß gewesen sind. Aber nach den eigentümlichen Äußerungen, die mein Gedächtnis mir soeben in die Feder diktiert, Äußerungen von einer, ich möchte sagen: spezifischen Intensität, kann über das mitzuteilende Faktum wohl kein Zweifel sein. Ines Rodde liebte den jungen Schwerdtfeger, und dabei fragte sich nur zweierlei: erstens, ob sie es wußte, und zweitens, wann, zu welchem Zeitpunkt, ihr ursprünglich geschwisterlich-kameradschaftliches Verhältnis zu dem Geiger diesen heißen und leidenden Charakter angenommen hatte.
{431} Die erste Frage beantworte ich mit ja. Ein so belesenes, man kann wohl sagen: psychologisch geschultes und ihr Erleben dichterisch überwachendes Mädchen, wie sie, hatte selbstverständlich Einsicht in die Entwicklung ihrer Gefühle, – so überraschend, ja unglaubwürdig ihr diese Entwicklung vielleicht anfangs erschienen war. Die scheinbare Naivität, mit der sie ihr Herz vor mir bloßstellte, bewies nichts gegen ihr Wissen; denn
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