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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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teils war, was aussah wie Einfalt, ein Ausdruck zwanghaften Mitteilungsdranges, teils war es eine Sache des Vertrauens zu mir, eines eigentümlich verkleideten Vertrauens: denn sie fingierte gewissermaßen, daß sie mich für simpel genug halte, nichts zu merken, was ja auch eine Art von Vertrauen gewesen wäre, wünschte und wußte aber eigentlich, daß mir die Wahrheit nicht entging, weil sie, zu meiner Ehre, ihr Geheimnis bei mir für gut aufgehoben erachtete. Das war es unbedingt. Meines humanen und diskreten Mitgefühls durfte sie sicher sein, so schwer es von Natur wegen einem Manne fällt, sich in Seele und Sinn einer Frau zu versetzen, die für ein Individuum seines Geschlechtes entbrannt ist. Selbstverständlich ist es für uns viel leichter, den Gefühlen eines Mannes für ein weibliches Wesen zu folgen – und sage dieses einem selbst auch gar nichts –, als sich in die Ergriffenheit des anderen Geschlechts durch eine Person des eigenen zu versetzen. Man »versteht« das im Grunde nicht, man nimmt es nur gebildeter Weise, in objektiver Achtung vor dem Naturgesetz hin – und zwar pflegt da das Verhalten des Mannes wohlwollend-duldsamer zu sein, als das der Frau, welche meistens die Geschlechtsgenossin, von der sie erfährt, daß sie ein Männerherz in Flammen gesetzt, recht grünen Blicks zu betrachten pflegt, auch wenn dieses Herz ihr selber ganz gleichgültig ist.
    An freundschaftlichem guten Willen zum Verständnis fehlte es mir also nicht, mochte mir das Verstehen im Sinne der Einfühlung auch durch die Natur verbaut sein. Mein Gott, {432} der kleine Schwerdtfeger! Seine Gesichtsbildung hatte doch schließlich etwas Möpsliches, seine Stimme war gaumig, und mehr vom Jungen hatte er, als vom Mann, – das schöne Blau seiner Augen, seinen richtigen Wuchs und sein einnehmendes Geigen und Pfeifen, nebst seiner allgemeinen Nettigkeit, bereitwillig zugegeben. Also denn, Ines Rodde liebte ihn, nicht blind, aber in desto tieferem Leide; und innerlich verhielt ich mich dazu, wie ihre spöttische, gegen das andere Geschlecht durchaus hochnäsige Schwester Clarissa: Auch ich hätte »Hopp!« zu ihm sagen mögen. »Hopp, Mensch, was denken Sie sich? Springen Sie gefälligst!«
    Nur war das mit dem Springen, auch wenn Rudolf die Verpflichtung dazu anerkannt hätte, nicht so einfach. Denn da war ja Helmut Institoris, der Bräutigam, oder Bräutigam in spe, Institoris, der Bewerber, – und damit komme ich auf die Frage zurück, seit wann denn Inessens schwesterliche Beziehung zu Rudolf sich ins Leidenschaftliche gewandelt hatte. Mein menschliches Ahnungsvermögen sagte es mir: Es war damals geschehen, als Dr. Helmut sich ihr, der Mann dem Weibe, genähert und um sie zu werben begonnen hatte. Ich war überzeugt und bin es geblieben, daß Ines sich nie in Schwerdtfeger verliebt hätte, ohne den Eintritt Institoris', des Freiers, in ihr Leben. Der warb um sie, aber er tat es gewissermaßen für einen anderen. Denn der mäßige Mann konnte zwar durch sein Werben und die damit verbundenen Gedankenreihen das Weib in ihr erwecken, – so weit reichte es. Aber nicht für sich konnte er es erwecken, obgleich sie ihm aus Vernunftgründen zu folgen bereit war, – so weit reichte es nicht bei ihm. Sondern ihre erweckte Weiblichkeit wandte sich sofort einem anderen zu, für den ihr Bewußtsein so lange nur gelassen-halbgeschwisterliche Gefühle gekannt hatte, und für den nun ganz andere in ihr frei wurden. Keine Rede davon, daß sie ihn für den Rechten, den Würdigen gehalten hätte. Sondern ihre Melancholie, die {433} das Unglück suchte, fixierte sich auf ihn, den sie mit Widerwillen hatte sagen hören: »Es sind schon so viele unglücklich!«
    Und sonderbar übrigens! Sie nahm von der Bewunderung des ungenügenden Bräutigams für das geistlos triebhafte »Leben«, die ihrer Gesinnung doch so entgegen war, etwas in ihre Verfallenheit an den anderen hinein, hinterging ihn gewissermaßen mit seiner eigenen Geistesrichtung. Denn stellte nicht Rudolf etwas dar wie das liebe Leben in den Augen ihrer wissenden Schwermut?
    Gegen Institoris, einen bloßen Dozenten des Schönen, hatte er den Vorteil der Kunst selbst, dieser Nährerin der Leidenschaft und Verklärerin des Menschlichen, auf seiner Seite. Denn die Person des Geliebten wird natürlich dadurch erhöht, und die Gefühle für ihn ziehen begreiflicherweise immer wieder neue Nahrung daraus, wenn mit dem Eindruck seiner Person fast stets berauschende Kunsteindrücke

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