Doktor Faustus
Ludwigstraße traf, seine Brust mit zahlreichen schwarz-weiß-roten Kokarden und Fähnchen besteckt. Der Kriegszustand, der Übergang der höchsten Gewalt vom Zivil auf das Militär, auf einen Proklamationen erlassenden General, wurde mit vertraulichem Gruseln empfunden. Es war beruhigend, zu wissen, daß die Mitglieder des Königshauses, die als Feldherren in ihre Hauptquartiere reisten, tüchtige Stabschefs zur Seite haben würden und keinen erlauchten Schaden anrichten konnten. Heitere Popularität begleitete sie also. Ich sah Regimenter, Blumensträußchen an den Gewehrläufen, aus den Kasernentoren marschieren, begleitet von Frauen, die Schnupftücher unter die Nase hielten, unter den Zurufen eines rasch zusammengelaufenen Zivil-Publikums, dem die zu Helden beförderten Bauernburschen dumm-stolz und verschämt zulächelten. Einen blutjungen Offizier sah ich in feldmarschmäßiger Ausrüstung auf der rückwärtigen Platform eines Trambahnwagens stehen, das Gesicht nach hinten gewandt, und, offenbar mit dem Gedanken an sein junges Leben beschäftigt, vor sich hin und in {441} sich hineinstarren, – worauf er sich kurz zusammennahm und mit eiligem Lächeln um sich blickte, ob jemand ihn beobachtet habe.
Wiederum war ich froh, mich in der gleichen Lage zu wissen, wie er, und nicht im Rücken derer sitzen zu bleiben, die das Land deckten. Im Grunde war ich, wenigstens vorderhand, der einzige aus unserem Bekanntenkreise, der hinausging: waren wir ja stark und volkreich genug, um es uns leisten zu können, wählerisch zu sein, auf kulturelle Interessen Rücksicht zu nehmen, viel Unabkömmlichkeit zuzugestehen und nur das vollkommen Taugliche an Jugend und Männlichkeit nach vorn zu werfen. Fast bei allen den Unseren stellte sich irgend ein gesundheitlicher Schaden heraus, von dem man kaum etwas gewußt hatte, der aber nun ihren Dispens bewirkte. Der Sugambier Knöterich war leicht tuberkulös. Kunstmaler Zink litt an keuchhustenartigen Asthma-Anfällen, zu deren Erledigung er sich von der Gesellschaft zurückzuziehen pflegte, und sein Freund Baptist Spengler kränkelte, wie bekannt, abwechselnd an allen Orten. Fabrikant Bullinger, noch jung an Jahren, schien als Industrieller zu Hause unentbehrlich; und ein zu wichtiges Element im künstlerischen Leben der Hauptstadt bildete das Zapfenstößer-Orchester, als daß nicht seine Mitglieder, also auch Rudi Schwerdtfeger, vom Kriegsdienst sollten ausgenommen gewesen sein. Übrigens wurde bei dieser Gelegenheit mit flüchtigem Erstaunen zur Kenntnis genommen, daß Rudi in früheren Tagen sich einer Operation hatte unterziehen müssen, die ihn eine seiner Nieren gekostet hatte. Er lebte, wie man plötzlich hörte, mit nur einer – ganz auskömmlich, wie es schien, und die Frauen hatten es bald vergessen.
Ich könnte so fortfahren und manchen Fall von Unlust, Protektion, rücksichtsvoller Aussparung nennen, die in den Kreisen vorkamen, welche bei Schlaginhaufens und bei den Scheurl'schen Damen am Botanischen Garten verkehrten, – {442} Kreisen, in denen es nicht an grundsätzlicher Abneigung gegen diesen Krieg, wie schon gegen den vorigen, fehlte: an Rheinbund-Erinnerungen, Franzosenfreundlichkeit, katholischer Aversion gegen Preußen und dergleichen Stimmungen. Jeanette Scheurl war tief unglücklich und den Tränen nahe. Das brutale Auflodern des Antagonismus zwischen den beiden Nationen, denen sie angehörte, Frankreich und Deutschland, die einander nach ihrer Meinung ergänzen sollten, statt zu raufen, machte sie ganz verzweifelt. »J'en ai assez jusqu'à la fin de mes jours!« stieß sie zornig schluchzend hervor. Trotz meiner abweichenden Gefühle versagte ich ihr nicht eine gebildete Teilnahme.
Um Adrian Lebewohl zu sagen, dessen persönliche Unberührtheit von dem Ganzen mir die selbstverständlichste Sache von der Welt war, fuhr ich nach Pfeiffering hinaus, wo der Haussohn, Gereon, sogleich mit mehreren Pferden nach seinem Gestellungsort hatte aufbrechen müssen. Ich fand dort Rüdiger Schildknapp vor, der, vorläufig noch frei, das week-end bei unserem Freunde verbrachte. Er hatte bei der Marine gedient und wurde später noch eingezogen, aber nach einigen Monaten wieder entlassen. Und ging es mir denn viel anders? Ich sage gleich, daß ich nur ein knappes Jahr, bis zu den Argonnen-Kämpfen 1915, im Felde blieb und dann mit dem Kreuze heimtransportiert wurde, das ich mir nur durch das Ertragen von Unbequemlichkeiten und die Attrappierung einer Typhus-Infektion
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