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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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das Schicksal uns beruft, im Tiefsten gemeint ist, das ist der Durchbruch zur Welt – aus einer Einsamkeit, deren wir uns leidend bewußt sind, und die durch keine robuste Verflechtung ins Welt-Wirtschaftliche seit der Reichsgründung hat gesprengt werden können. Das Bittere ist, daß die empirische Erscheinung des Kriegszuges annimmt, was in Wahrheit Sehnsucht ist, Durst nach Vereinigung …«
    »Gott segne eure studia!« hörte ich hier Adrian mit halber Stimme und kurzem Auflachen sagen. Er hatte nicht von seinen Notenblättern dabei aufgeblickt.
    Ich blieb stehen und sah ihn an, ohne daß er sich darum gekümmert hätte.
    »Wozu«, erwiderte ich, »nach deiner Meinung denn wohl zu ergänzen ist: ›Aus euch wird nichts, Halleluja‹?«
    »Besser vielleicht: ›
Daraus
wird nichts‹«, gab er zurück. »Verzeih, ich verfiel ins Studentische, weil deine oratio mich so sehr an unsere Schlafstroh-Dispute von anno Dazumal erinnerte – wie hießen die Burschen? Ich merke, daß mir die alten Namen anfangen, abhanden zu kommen.« (Er war 29, wie er da saß.) – »Deutschmeyer? Dungersleben?«
    »Du meinst den stämmigen Deutschlin«, sagte ich, »und einen, der Dungersheim hieß. Ein Hubmeyer und ein von {448} Teutleben waren auch dabei. Namen haben sich dir nie sehr eingeprägt. Es waren gute, bemühte Jungen.«
    »Und ob! Was denkst du, jemand hörte auf ›Schappeler‹, und dann war da ein gewisser Sozial-Arzt. Was sagst du nun? Du warst ja eigentlich keiner von ihnen, der Fakultät nach. Aber heut glaube ich sie zu hören, wenn ich dich höre.
Schlafstroh
 – womit ich nur sagen will: Einmal Student, immer Student. Das Akademische erhält jung und kregel.«
    »Du warst von ihrer Fakultät«, sagte ich, »und im Grunde mehr Hospitant, als ich. Selbstverständlich, Adri. Ich war nur ein Student, und du magst wohl recht damit haben, daß ich's geblieben bin. Desto besser aber, wenn das Akademische jung erhält, das heißt: die Treue konserviert zum Geiste, zum freien Gedanken, zur höheren Interpretation des kruden Geschehens …«
    »Ist hier von Treue die Rede?« fragte er. »Ich habe verstanden, daß Kaisersaschern Weltstadt werden möchte. Das ist nicht sehr treu.«
    »Geh', geh'«, rief ich ihm zu, »du hast nichts Dergleichen verstanden und verstehst sehr wohl, was ich meinte mit dem deutschen Durchbruch zur Welt.«
    »Es hülfe wenig«, antwortete er, »wenn ich's verstände, denn vorderhand wenigstens wird das krude Geschehen unsere Ab- und Eingesperrtheit erst recht vollkommen machen, und wenn ihr Kriegsvolk noch so weit vorschwärmt ins Europäische. Du siehst ja: ich kann nicht nach Paris gehen. Ihr geht statt meiner. Auch gut! Unter uns gesagt: Ich wäre ohnedies nicht gegangen. Ihr helft mir aus einer Verlegenheit …«
    »Der Krieg wird kurz sein«, sagte ich mit gepreßter Stimme, da seine Worte mich schmerzlich berührt hatten. »Er kann gar nicht lange dauern. Wir zahlen für den raschen Durchbruch mit einer Schuld, einer eingestandenen, die wir gut machen zu wollen erklären. Wir müssen sie auf uns nehmen …«
    {449} »Und werdet sie mit Würde zu tragen wissen«, fiel er ein. »Deutschland hat breite Schultern. Und wer leugnet denn, daß so ein rechter Durchbruch das schon wert ist, was die zahme Welt ein Verbrechen nennt! Ich hoffe, du nimmst nicht an, daß ich gering denke von der Idee, mit der es dir im Schlafstroh zu operieren gefällt. Es gibt im Grunde nur
ein
Problem in der Welt, und es hat diesen Namen: Wie bricht man durch? Wie kommt man ins Freie? Wie sprengt man die Puppe und wird zum Schmetterling? Die Gesamtsituation ist beherrscht von der Frage. Hier wird
auch
«, sagte er und zupfte an dem roten Einlegebändchen in den Schriften Kleists auf dem Tische, »vom Durchbruch gehandelt, nämlich in dem vortrefflichen Aufsatz über die Marionetten, und er wird darin geradezu ›das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt‹ genannt. Dabei ist nur von Ästhetischem die Rede, von der Anmut, der freien Grazie, die eigentlich dem Gliedermann und dem Gotte, das heißt dem Unbewußtsein oder einem unendlichen Bewußtsein vorbehalten ist, während jede zwischen Null und Unendlichkeit liegende Reflexion die Grazie tötet. Das Bewußtsein müsse, meint dieser Schriftsteller, durch ein Unendliches gegangen sein, damit die Grazie sich wieder einfinde, und Adam müsse ein zweites Mal vom Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen.«
    »Wie freue ich mich«,

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