Doktor Faustus
ferner die unvermeidlichen Sonette Shakespeares und noch ein Band mit Stücken dieses Dichters, – »Was ihr wollt« war darin, »Viel Lärm um nichts« und, wenn ich nicht irre, auch »Die beiden Veroneser«. Auf dem Pult aber lag seine gegenwärtige Arbeit – lose Blätter waren es, Entwürfe, Anfänge, Notierungen, Skizzen in unterschiedlichem Fortgeschrittenheitszustande: oft war nur die oberste Zeile der Geigenstimme oder der Holzbläser ausgefüllt und ganz unten der Gang der Bässe, dazwischen aber noch weiße Leere; anderwärts waren der harmonische Zusammenhang und die instrumentale Gruppierung durch die Notierung auch der übrigen Orchesterstimmen schon deutlich gemacht, und, die Zigarette zwischen den Lippen, war er davorgetreten, um hineinzusehen, genau wie ein Schachspieler den Stand einer Partie auf dem quadrierten Felde mustert, an welchen ja die Musik-Komposition so sehr erinnert. Unser Zusammensein war so unbekümmert, daß er, als wäre er allein, sogar einen Stift nahm, um irgendwo eine Klarinetten- oder Hornfigur nach Gutdünken einzutragen.
Wir wußten nicht viel Genaues über das, was ihn beschäftigte, jetzt, wo jene kosmische Musik bei Schotts Söhnen in Mainz unter denselben Bedingungen wie vordem die Brentano-Gesänge im Druck erschienen war. Es handelte sich um eine Suite dramatischer Grotesken, deren Gegenstände er, so hörten wir, dem alten Geschichten- und Schnurrenbuch »Gesta Romanorum« entnahm, und mit denen er Versuche anstellte, ohne noch recht zu wissen, ob etwas daraus werden und ob er daran festhalten werde. Jedenfalls war die Verkörperung nicht Menschen, sondern Gliederpuppen zugedacht. (Daher der Kleist!) – Was die »Wunder des Alls« betraf, so hatte dem feierlich-übermütigen Werk eine ausländische Aufführung bevorgestanden, die nun durch den Kriegsausbruch ins Wasser {446} gefallen war. Wir hatten bei Tische davon gesprochen. Die Lübecker Darbietungen von »Verlorene Liebesmüh«, erfolglos wie sie gewesen, nebst dem bloßen In-der-Welt-Sein der Brentano-Lieder, hatten doch unter der Hand ihre Wirkung getan und begonnen, dem Namen Adrians in inneren Zirkeln der Kunst einen gewissen esoterischen Klang, wenn auch tentativen Charakters, zu verschaffen, – auch dies kaum schon in Deutschland und schon gar nicht in München, aber an anderer, sensiblerer Stelle. Er hatte vor einigen Wochen einen Brief des Herrn Monteux, Direktors des Russischen Balletts in Paris, ehemaligen Mitglieds des Orchesters Colonne, erhalten, worin dieser dem Experiment freundliche Dirigent die Absicht kundgetan hatte, die »Wunder des Alls« zusammen mit einigen Orchester-Stücken aus »Love's Labour Lost« in rein konzertmäßiger Aufführung darzubieten. Er hatte das Théâtre des Champs-Elysées für die Veranstaltung in Aussicht genommen und Adrian eingeladen, dazu nach Paris zu kommen, auch wohl seine Werke selbst einzustudieren und vorzuführen. Wir hatten unseren Freund nicht gefragt, ob er unter Umständen der Einladung gefolgt wäre. Jedenfalls hatten die Umstände sich nun so gestaltet, daß von der Sache nicht weiter die Rede war.
Noch sehe ich mich über den Teppich und die Dielen des getäfelten alten Zimmers mit seinem weitschweifigen Kronleuchter, dem beschlagenen Wandschränkchen, den flachen Lederkissen auf der Eckbank und der tiefen Fensternische herumwandeln und über Deutschland perorieren, – mehr für mich selbst und allenfalls für Schildknapp, als für Adrian, von dem ich kein Achtgeben erwartete. Gewohnt zu lehren und zu reden, bin ich, einige Erwärmung meines Gemütes vorausgesetzt, kein schlechter Sprecher; ich höre mich sogar nicht ungern und habe eine gewisse Freude daran, wie das Wort sich mir zu Gebote hält. Nicht ohne lebhafte Gestikulation stellte ich es Rüdigern anheim, meine Worte dem Kriegsfeuilletonismus {447} zuzurechnen, an dem er sich so ärgerte; aber ein wenig psychologische Anteilnahme an der – rührender Züge keineswegs entbehrenden – Charaktergestalt, als welche die historische Stunde das sonst multiforme deutsche Wesen habe erstehen lassen, müsse nach meiner Meinung als natürlich erlaubt sein, und in letzter Analyse sei es die Psychologie des
Durchbruchs
, um die es sich dabei handle.
»Bei einem Volk von der Art des unsrigen«, trug ich vor, »ist das Seelische immer das Primäre und eigentlich Motivierende; die politische Aktion ist zweiter Ordnung, Reflex, Ausdruck, Instrument. Was mit dem Durchbruch zur Weltmacht, zu dem
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