Doktor Faustus
und Kultur Eines sein würden. Hier waltete nun freilich, wie immer bei uns, eine eigentümliche Selbstbefangenheit, ein völlig naiver Egoismus, dem es nicht darauf ankommt, ja, der es für ganz selbstverständlich ansieht, daß für die deutschen Werde-Prozesse (und wir werden ja immer) eine ganze schon fertigere und keineswegs auf Katastrophendynamik versessene Welt mit uns ihr Blut zu vergießen hat. Man nimmt uns das übel, und nicht ganz mit Unrecht; denn moralisch betrachtet sollte das Mittel eines Volkes, zu einer höheren Form seines Gemeinschaftslebens durchzubrechen – wenn es denn blutig dabei zugehen soll – nicht der Krieg nach außen, sondern der Bürgerkrieg sein. Dieser jedoch widerstrebt uns außerordentlich, während wir uns nichts daraus machten, es im Gegenteil prächtig fanden, daß unsere nationale Einigung – noch dazu eine partielle, eine Kompromiß-Einigung – drei schwere Kriege gekostet hatte. Eine Großmacht waren wir nun allzu lange schon; der Zustand war gewohnt und beglückte nicht nach Erwartung. Das Gefühl, daß er uns nicht gewinnender gemacht, daß er unser Verhältnis zur Welt eher verschlechtert als verbessert hatte, saß, eingestanden oder nicht, tief in den Gemütern. Fällig erschien ein neuer Durchbruch: derjenige zur dominierenden Weltmacht, – der freilich auf dem Wege moralischer Heimarbeit nicht zu bewirken war. Krieg also, und wenn es sein mußte, gegen alle, um alle zu überzeugen und zu gewinnen, das war's, was das »Schicksal« (wie »deutsch«, dies Wort, ein vor-christlicher Urlaut, ein tragisch-mythologisch-musikdramatisches Motiv!) beschlossen hatte, und wozu wir {439} begeistert (ganz allein begeistert) aufbrachen – erfüllt von der Gewißheit, daß Deutschlands säkulare Stunde geschlagen habe; daß die Geschichte ihre Hand über uns halte; daß nach Spanien, Frankreich, England wir an der Reihe seien, der Welt unseren Stempel aufzudrücken und sie zu führen; daß das zwanzigste Jahrhundert uns gehöre und nach Ablauf der vor einigen hundertzwanzig Jahren inaugurierten bürgerlichen Epoche die Welt im Zeichen des Deutschen, im Zeichen eines nicht ganz zu Ende definierten militaristischen Sozialismus also, sich zu erneuern habe.
Diese Vorstellung, um nicht zu sagen: Idee, beherrschte die Köpfe in einträchtigem Beieinander mit der, daß wir zum Kriege gezwungen seien, daß heilige Not uns zu den allerdings wohl vorbereiteten und eingeübten Waffen rief, von deren Vortrefflichkeit immer die geheime Versuchung ausgegangen sein mochte, davon Gebrauch zu machen, – zusammen also mit der Furcht, von allen Seiten überflutet zu werden, wovor uns nur unsere ungeheure Kraft, das heißt: die Fähigkeit schützte, den Krieg sofort in anderer Leute Land zu tragen. Angriff und Verteidigung waren dasselbe in unserem Fall: sie bildeten zusammen das Pathos der Heimsuchung, der Berufung, der großen Stunde, der heiligen Not. Mochten die Völkerschaften dort draußen uns für Rechts- und Friedensstörer, für unerträgliche Lebensfeinde halten, – wir hatten die Mittel, die Welt auf den Kopf zu schlagen, bis sie anderer Meinung über uns wurde und uns nicht nur bewunderte, sondern auch liebte.
Glaube doch niemand, daß ich mich lustig mache! Es ist kein Anlaß dazu, vor allem nicht, weil ich in keiner Weise prätendieren kann, mich von der allgemeinen Ergriffenheit ausgeschlossen zu haben. Ich teilte sie redlich, mochte auch die natürliche Gesetztheit des Gelehrten mich von jeder Hurra-Lautheit abhalten, ja mochten sogar leise kritische Bedenken sich unterschwellig rühren und ein leichtes Unbehagen dar {440} über, zu denken und zu fühlen, was alle dachten und fühlten, mich augenblicksweise anwandeln. Es hat unsereiner ja seine Zweifel, ob jedermanns Gedanken die richtigen sind. Und doch ist es für das höhere Individuum auch wieder ein großer Genuß, einmal – und wo hätte dies Einmal zu finden sein sollen, wenn nicht hier und jetzt – mit Haut und Haar im Allgemeinen unterzugehen.
Zwei Tage hielt ich mich in München auf, um mich da und dort zu verabschieden und Einzelheiten an meiner Equipierung zu ergänzen. Die Stadt gor in ernstem Fest, auch in Anfällen von Panik und Angstwut, wenn etwa das wilde Gerücht aufsprang, die Wasserleitung sei vergiftet, oder wenn man einen serbischen Spion in der Menge glaubte entdeckt zu haben. Um nicht für einen solchen gehalten und irrtümlich erschlagen zu werden, hatte Dr. Breisacher, den ich auf der
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