Doktor Faustus
rief ich, »daß du das eben gelesen hast! Es ist herrlich gedacht, und du tust ganz recht, es in die Idee des Durchbruchs einzubeziehen. Sage aber nicht: ›Nur vom Ästhetischen handelt es‹, sage nicht: ›Nur‹! Man tut sehr unrecht, im Ästhetischen einen engen und gesonderten Teilbezirk des Humanen zu sehen. Es ist viel mehr als das, es ist im Grunde alles in seiner gewinnenden oder befremdenden Wirkung, wie denn ja auch bei dem Dichter da das Wort ›Grazie‹ den allerweitesten Sinn hat. Ästhetische Erlöstheit oder Unerlöstheit, das ist das Schicksal, das entscheidet über Glück oder Unglück, {450} über das gesellige Zuhausesein auf Erden oder heillose, wenn auch stolze Vereinsamung, und man muß nicht Philolog sein, um zu wissen, daß das Häßliche das Verhaßte ist. Durchbruchsbegierde aus der Gebundenheit und Versiegelung im Häßlichen, – sage mir immerhin, daß ich Schlafstroh dresche, aber ich fühle, habe immer gefühlt und will es gegen viel derben Augenschein vertreten, daß dies deutsch ist kat' exochen, tief deutsch, die Definition des Deutschtums geradezu, eines Seelentums, bedroht von Versponnenheit, Einsamkeitsgift, provinzlerischer Eckensteherei, neurotischer Verstrickung, stillem Satanismus …«
Ich brach ab. Er sah mich an, und ich glaube, die Farbe war aus seinen Wangen gewichen. Der Blick, den er auf mich richtete, war
der
Blick, der bewußte, der mich unglücklich machte, beinahe gleichviel, ob ich es war, oder ein anderer, dem er zustieß: stumm, verschleiert, kalt distanziert bis zum Kränkenden, und es folgte das Lächeln darauf, bei verschlossenem Mund und spöttisch zuckenden Nasenflügeln, – und das Sich abwenden. Er ging weg vom Tisch, nicht gegen Schildknapps Platz, sondern zur Fensternische, an deren getäfelter Wand er ein Heiligenbild gerade hängte. Rüdiger sagte dies oder das: Bei meiner Gesinnung, sagte er, sei ich zu beglückwünschen, daß ich gleich ins Feld rücken könnte, und zwar zu Pferde. Man sollte, sagte er, ins Feld nur zu Pferde rücken oder sonst lieber gar nicht. Und er klopfte dem imaginären Gaul den Hals. Wir lachten, und unser Abschied, als ich zur Bahn mußte, war leicht und heiter. Gut, daß er nicht sentimental war; es hätte sich als wenig angebracht erwiesen. Adrians Blick aber nahm ich mit in den Krieg, – vielleicht war er es, und nur scheinbar der Läuse-Typhus, der mich so bald wieder nach Hause, an seine Seite brachte.
{451} XXXI
»Ihr geht statt meiner«, hatte Adrian gesagt. Und wir kamen nicht hin! Soll ich gestehen, daß ich, ganz in der Stille und außerhalb des historischen Gesichtswinkels, eine tiefe, intim-persönliche Scham darüber empfand? Durch Wochen hatten wir kurz angebundene, das Triumphale in kalte Selbstverständlichkeit kleidende, affektiert lapidare Siegesnachrichten nach Hause gesandt. Lüttich war längst gefallen; wir hatten die Schlacht in Lothringen gewonnen, waren dem lang gehegten Meister-Plan gemäß mit fünf Armeen über die Maas geschwenkt, hatten Brüssel, Namur genommen, die Siege von Charleroi und Longwy erfochten, eine zweite Schlachtenserie bei Sedan, Rethel, Saint-Quentin gewonnen und Reims besetzt. Der Vormarsch, der uns dahinriß, war beflügelt und, wie wir es uns erträumt hatten, von der Gunst des Kriegsgottes, dem Ja des Schicksals wie auf Fittichen getragen. Den Aspekt der Mordbrennerei mit Festigkeit zu ertragen, der von ihm unzertrennlich war, lag unserer Männlichkeit ob, es war die Hauptanforderung an unseren Heldenmut. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Deutlichkeit rufe ich mir noch heute das Bild eines hageren gallischen Weibes zurück, auf einer Anhöhe stehend, die unsere Batterie umfuhr, und an deren Fuß die Reste eines zerschossenen Dorfes qualmten. »Ich bin die Letzte!« rief sie mit tragischer Gebärde, wie sie einer deutschen Frau nicht gegeben gewesen wäre, uns zu. »Je suis la dernière!« Und mit erhobenen Fäusten den Fluch über unsere Köpfe hinaus schleudernd, wiederholte sie dreimal: »Méchants! Méchants! Méchants!«
Wir sahen woanders hin; wir mußten siegen, und dies war das harte Handwerk des Sieges. Daß ich mich elend fühlte auf meinem Braunen, von bösem Husten und Gliederreißen geplagt infolge nassen Nächtigens unter der Zeltbahn, gereichte mir zu einer gewissen Beruhigung.
{452} Noch viele Dörfer zerschossen wir, getragen auf Fittichen. Dann kam das Unverständliche, scheinbar Unsinnige: der Rückzugsbefehl. Wie hätten wir ihn begreifen
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