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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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deren Bräune uralte Trauer geschrieben stand darob, daß die Tochter Zion geschleift und ihr Volk wie eine verlorene Herde war. Eine rüstige Geschäftsfrau auf derbem Gebiet (denn eine Wurstdarmfabrik hat entschieden etwas Derbes), hatte sie doch die elegische Gewohnheit, beim Sprechen all ihre Sätze mit »Ach!« anzufangen. »Ach, ja«, »Ach, nein«, »Ach, glauben Sie mir«, »Ach, wie denn wohl nicht«, »Ach, ich will morgen nach Nürnberg fahren«, sagte sie mit tiefer, wüstenrauher und klagender Stimme, und sogar, wenn man sie fragte: »Wie geht es Ihnen?«, so antwortete sie: »Ach, immer recht gut.« Ganz anders jedoch, wenn sie
schrieb
, – was sie außerordentlich gerne tat. {457} Denn nicht nur war Kunigunde, wie fast alle Juden, sehr musikalisch, sondern sie unterhielt auch, sogar ohne weitreichende Lektüre, ein viel reineres und sorglicheres Verhältnis zur deutschen Sprache als der nationale Durchschnitt, ja selbst als die meisten Gelehrten, und hatte die Bekanntschaft mit Adrian, die sie auf eigene Hand stets »Freundschaft« nannte (war es denn übrigens nicht auf die Dauer wirklich dergleichen?), mit einem ausgezeichneten Briefe angebahnt, einem langen, wohlgesetzten, inhaltlich nicht eben erstaunlichen, aber stilistisch nach den besten Mustern eines älteren humanistischen Deutschland geformten Ergebenheitsschreiben, das der Empfänger mit einer gewissen Überraschung gelesen, und das man seiner literarischen Würde wegen unmöglich mit Stillschweigen übergehen konnte. So aber auch in der Folge schrieb sie ihm, ganz unbeschadet ihrer zahlreichen persönlichen Besuche, öfters nach Pfeiffering: ausführlich, nicht sehr gegenständlich, der Sache nach nicht weiter aufregend, aber sprachlich gewissenhaft, sauber und lesbar – übrigens nicht handschriftlich, sondern auf ihrer Geschäftsmaschine, mit kaufmännischen Und-Zeichen, – eine Verehrung bekundend, die näher zu definieren und zu begründen sie entweder zu bescheiden oder außerstande war, – es war eben Verehrung, eine instinktbestimmte, sich durch viele Jahre in Treuen bewährende Verehrung und Ergebenheit, um derentwillen man die vortreffliche Person, ganz abgesehen von sonstigen Tüchtigkeiten, ernstlich hochzuachten hatte. Ich wenigstens tat das und bemühte mich, dieselbe innere Anerkennung der verhuschten Nackedey zu zollen, mochte auch Adrian sich die Huldigungen und Darbringungen dieser Anhängerinnen mit der ganzen Unachtsamkeit seines Wesens immer nur eben gefallen lassen. Und war denn schließlich mein Los von dem ihren so sehr verschieden? Daß ich es mir angelegen sein ließ, ihnen wohlzuwollen (während sie primitiverweise einander {458} nicht leiden konnten und, wenn sie zusammentrafen, einander gekniffenen Blickes maßen), darf ich mir zur Ehre rechnen; denn in gewissem Sinn war ich von ihrer Gilde und hätte Grund gehabt, durch die herabgesetzte und verjungferte Wiederholung meines eigenen Verhältnisses zu Adrian irritiert zu sein.
    Diese also, immer mit vollen Händen kommend, trugen während der Hungerjahre dem ohnedies, was die Fundamente der Ernährung betraf, wohl Aufgehobenen das Erdenkliche, auf Schleichwegen Erreichbare zu: Zucker, Tee, Kaffee, Chokolade, Backwerk, Eingemachtes und geschnittenen Tabak zum Zigarettendrehen, so daß er noch mir, Schildknapp und auch Rudi Schwerdtfeger, dessen Zutraulichkeit nie von ihm ließ, davon mitteilen konnte und die Namen der dienenden Frauen oft unter uns gesegnet waren. Den Tabak, die Zigarette angehend, so verzichtete Adrian nur gezwungen darauf, das heißt an Tagen, wo die Migräne, wie schwere Seekrankheit auftretend, ihn anfiel und er in verdunkeltem Zimmer das Bett hütete, was zwei- bis dreimal im Monat geschah, mochte aber sonst das unterhaltende Stimulans, das ihm erst ziemlich spät, erst in Leipzig, zur Gewohnheit geworden war, nicht entbehren, am wenigsten während der Arbeit, bei der er nach seiner Versicherung ohne das Zwischenein von Wickeln und Inhalieren weniger lange ausgehalten hätte. Der Arbeit aber war er um die Zeit, als ich ins Zivilleben zurückkehrte, sehr dringlich ergeben – nach meinem Eindruck nicht so sehr um ihres aktuellen Gegenstandes willen, nämlich der Gesta-Spiele, oder nicht allein um seinetwillen, sondern weil er trachtete, ihn hinter sich zu bringen und für neu sich ankündigende Forderungen seines Genius bereit zu sein. Am Horizont, ich bin dessen sicher, stand schon damals, wahrscheinlich schon seit Ausbruch des

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