Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Einsamkeit ausging. »Ein Auge auf ihn zu haben«, sein außerordentliches und rätselhaftes Leben zu bewachen, schien immer dem meinen zur eigentlichen und dringlichen Aufgabe gesetzt; es bildete seinen wahren Inhalt, und darum sprach ich von der Entleertheit meiner gegenwärtigen Tage.
    Sein Zuhause – und es war ja in sonderbar wiederholendem, irgendwie nicht ganz zu billigendem Sinn ein »Zuhause« – hatte er verhältnismäßig glücklich gewählt – gottlob! er war während der Jahre des Verfalls und der stetig schärfer nagenden Entbehrungen bei seinen Ackerbürgern, den Schweigestills, so leidlich, wie nur wünschbar, versorgt und, ohne es recht zu wissen und zu würdigen, fast unberührt von den auslaugenden Veränderungen, denen das blockierte und zernierte, wenn auch militärisch immer noch ausgreifende Land unterlag. Er nahm das mit Selbstverständlichkeit und ohne Erwähnung hin, wie etwas, das von ihm ausging und in seiner Natur lag, deren Beharrungskräfte und Bestimmung zum Semper idem sich gegen die äußeren Umstände individuell durchsetzten. Seine einfachen diätetischen Gewohnheiten konnte die Schweigestillsche Wirtschaft allezeit befriedigen. Es kam aber hinzu, daß {455} ich ihn schon gleich bei meiner Rückkehr aus dem Felde in der Betreuung zweier weiblicher Wesen fand, die sich ihm genähert und sich, ganz unabhängig von einander, zu seinen fürsorgenden Freundinnen aufgeworfen hatten. Es waren dies die Damen Meta Nackedey und Kunigunde Rosenstiel, – Klavierlehrerin die eine, die andere tätige Mit-Inhaberin eines Darmgeschäftes, will sagen: eines Betriebes zur Herstellung von Wursthüllen. Es ist ja merkwürdig: Ein der breiten Masse gänzlich verborgener esoterischer Früh-Ruhm, wie er angefangen hatte, sich mit Leverkühns Namen zu verbinden, hat seinen Bewußtseinssitz in eingeweihter Sphäre, an kennerischen Spitzen, wofür etwa jene Pariser Einladung ein Merkmal gewesen war; aber gleichzeitig wohl auch hat er einen Widerschein in bescheiden-tieferen Gegenden, im bedürftigen Gemüt armer Seelen, die sich durch irgend eine als »höheres Streben« verkleidete Einsamkeits- und Leidenssensibilität von der Masse sondern und in einer Verehrung, welcher noch voller Raritätswert zukommt, ihr Glück finden. Daß es Frauen sind, und zwar jüngferliche Frauen, kann nicht wundernehmen; denn menschliche Entbehrung ist gewiß die Quelle einer prophetischen Intuition, die um solchen kümmerlichen Ursprungs willen keineswegs weniger schätzbar ist. Es war gar keine Frage, daß darin das unmittelbar Persönliche eine beträchtliche, ja das Geistige überwiegende Rolle spielte, welches ohnedies in beiden Fällen nur in vagen Umrissen, ganz gefühls- und ahnungsweise begriffen und gewertet werden konnte. Habe aber ich, der Mann, der wohl von einer gewissen, von frühan wirkenden Verfallenheit seines Kopfes und Herzens an Adrians kühle und rätselhaft in sich verschlossene Existenz reden kann, – habe ich das geringste Recht zum Spott über die Faszination, die von seiner Einsamkeit, der Nonkonformität seiner Lebensführung auf diese Frauenzimmer ausgegangen war?
    Die Nackedey, ein verhuschtes, ewig errötendes, jeden Au {456} genblick in Scham vergehendes Geschöpf von einigen dreißig Jahren, das beim Reden und auch beim Zuhören hinter dem Zwicker, den sie trug, krampfhaft-freundlich mit den Augen blinzelte und dazu kopfnickend die Nase krauszog, – diese also hatte sich eines Tages, als Adrian in der Stadt war, auf der vorderen Plattform einer Trambahn an seiner Seite gefunden und war, als sie es entdeckt hatte, in kopfloser Flucht durch den vollen Wagen auf die rückwärtige geflattert, von wo sie aber nach einigen Augenblicken der Sammlung zurückgekehrt war, um ihn anzusprechen, ihn bei Namen zu nennen, ihm errötend und erblassend den ihren zu gestehen, von ihren Umständen etwas hinzuzufügen und ihm zu sagen, daß sie seine Musik heilig halte, was alles er dankend zur Kenntnis genommen hatte. Von da stammte diese Bekanntschaft, die Meta nicht eingeleitet hatte, um sie dann auf sich beruhen zu lassen: Durch einen Huldigungsbesuch mit Blumen in Pfeiffering hatte sie sie schon nach einigen Tagen wieder aufgenommen und pflegte sie dann immerfort, – in freiem, beiderseits von Eifersucht gesporntem Wettstreit mit der Rosenstiel, die es anders angefangen hatte.
    Sie war eine knochige Jüdin vom ungefähren Alter der Nackedey, mit schwer zu bändigendem Wollhaar und Augen, in

Weitere Kostenlose Bücher