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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Krieges, der ja für eine Divination, wie die seine, einen tiefen Ab- und Einschnitt, die Eröffnung einer neuen, tumultuösen und grundstürzenden, mit wilden Abenteuern und Leiden über {459} füllten Geschichtsperiode bedeutete, – am Horizont seines schöpferischen Lebens stand bereits die »Apocalipsis cum figuris«, das Werk, das diesem Leben einen schwindelnden Auftrieb geben sollte, und bis zu welchem – so sehe wenigstens ich den Prozeß – er sich mit den genialischen Puppen-Grotesken die Wartezeit vertrieb.
    Adrian hatte das alte Buch, das als Quelle der meisten romantischen Mythen des Mittelalters zu gelten hat, diese Übersetzung der ältesten christlichen Märchen- und Legendensammlung aus dem Lateinischen, durch Schildknapp kennen gelernt, – ich bescheinige dem Günstling mit den gleichen Augen gern das Verdienst. Sie hatten manchen Abend zusammen darin gelesen, und was dabei vor allem auf seine Kosten gekommen, war Adrians Sinn für Komik gewesen, diese Begierde nach dem Lachen – ja, Tränen-lachen-können, der meine etwas trockene Natur nie recht Nahrung zu geben wußte und daran auch gehindert war durch eine gewisse Ungehörigkeit, die für mein ängstliches Gemüt in dieser Heiterkeitsauflösung seines in Spannung und Bangigkeit geliebten Wesens lag. Rüdiger, der Gleichäugige, teilte mitnichten diese meine Apprehension, die ich übrigens tief für mich behielt, und die mich nicht hindern durfte, an solchen Stimmungen der Ausgelassenheit, wenn es sich eben so machte, redlich teilzunehmen. Dem Schlesier vielmehr war entschiedene Genugtuung, so, als hätte er eine Sendung, einen Auftrag erfüllt, deutlich anzumerken, wenn es ihm gelungen war, Adrian in den Zustand des Tränenlachens zu versetzen, und mit dem Schnurren- und Fabelbuch war ihm das unstreitig auf eine höchst dankenswerte, produktiv folgenreiche Weise geglückt.
    Ich will es wohl meinen, daß die »Gesta« in ihrer historischen Unbelehrtheit, christfrommen Didaktik und moralischen Naivität, mit ihrer ausgefallenen Kasuistik von Elternmord, Ehebruch und kompliziertem Inzest, ihren unnachweisbaren rö {460} mischen Kaisern und deren ungeheuer bewachten, zu erklügelten Bedingungen ausgebotenen Töchtern, – es ist nicht zu leugnen, sage ich, daß all diese in einem gravitätisch latinisierenden und unbeschreiblich einfältigen Übersetzungsstil vorgetragenen Fabeln von ins Gelobte Land wallenden Rittern, buhlerischen Eheweibern, verschmitzten Kupplerinnen und der schwarzen Magie ergebenen Klerikern außerordentlich erheiternd wirken können. Im höchsten Grade waren sie danach angetan, Adrians parodistischen Sinn aufzuregen, und der Gedanke, mehrere dieser Geschichten in gedrängter Form für das Puppentheater musikalisch zu dramatisieren, beschäftigte ihn von dem Tage an, wo er ihre Bekanntschaft gemacht. Da ist etwa die gründlich unmoralische, dem Dekameron vorspielende Fabel »Von der gottlosen List der alten Weiber«, worin eine in Heiligkeit vermummte Helfershelferin verbotener Leidenschaft es zu Wege bringt, eine edle und sogar ausnehmend ehrbare Ehefrau, deren vertrauensvoller Gatte sich auf Reisen befindet, zu bestimmen, daß sie einem Jüngling, der sich in Begierde nach ihr verzehrt, sündlich zu Willen ist. Denn die Hexe gibt ihrer kleinen Hündin, nachdem sie sie zwei Tage lang zum Hungern genötigt, Senfbrot zu fressen, wovon dem Tiere heftig die Augen tränen. So nimmt jene die Hündin mit sich zu der Sittenstrengen und wird, da sie bei allen, so auch bei dieser, für eine Heilige angesehen ist, ehrerbietig empfangen. Als aber die Dame das weinende Hündchen erblickt und verwundert nach der Ursache dieser Erscheinung fragt, gibt sich die Alte den Anschein, als wiche sie lieber der Frage aus, um dann, zum Reden gedrängt, das Geständnis abzugeben, diese kleine Hündin sei sonst ihre allzu züchtige Tochter gewesen, welche durch die starre Verweigerung ihres Entgegenkommens einen in Sehnsucht nach ihr entbrannten jungen Mann in den Tod getrieben habe, wofür zur Strafe sie in diese Gestalt verwandelt worden sei und nun natürlich immerfort Tränen {461} der Reue über ihr Hundedasein vergieße. Bei diesen absichtsvollen Lügen weint die Kupplerin ebenfalls; die Dame aber erschrickt bei dem Gedanken an die Verwandtschaft ihres eigenen Falles mit dem der Bestraften und erzählt der Alten von dem Jüngling, der um sie leide, worauf diese ihr ernstlich vor Augen stellt, was für ein unersetzlicher Schaden es

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