Doktor Faustus
bieten. Sein Aufsteigen zum Posten des Konzertmeisters im Zapfenstößer-Orchester, dessen bisheriger Inhaber zurücktrat, um sich nur noch dem Unterricht zu widmen, war trotz seiner Jugend – und er sah noch bedeutend jünger aus, als er war, ja, merkwürdigerweise sogar jünger als zur Zeit meiner ersten Bekanntschaft mit ihm – dieser Aufstieg war nunmehr eine ausgemachte Sache.
Bei alldem zeigte Rudi sich bedrückt durch gewisse Umstände seines Privatlebens, – durch seine Liaison mit Ines Institoris, über die er sich unter vier Augen mit Adrian vertrauensvoll ausließ. Übrigens ist »unter vier Augen« nicht ganz richtig, oder nicht ganz zulänglich gesagt, da das Gespräch im verdunkelten Zimmer stattfand, und die Beiden einander überhaupt {507} nicht oder nur schattenhaft sahen, – eine Ermutigung und Erleichterung, ohne Zweifel, für Schwerdtfeger bei seinen Geständnissen. Es war nämlich ein außerordentlich heller, blau-sonniger und schneeglitzernder Januar-Tag des Jahres 1919, und Adrian hatte gleich nach Rudolfs Ankunft, nach der ersten Begrüßung mit ihm draußen im Freien, so schwere Kopfschmerzen bekommen, daß er seinen Gast ersucht hatte, das erprobt wohltätige Schonungsdunkel wenigstens eine Weile mit ihm zu teilen. Man hatte also den Nike-Saal, wo man sich anfangs aufgehalten, mit der Abtsstube vertauscht und sie mit Läden und Vorhängen so vollständig gegen das Licht gesperrt, daß es war, wie ich es kannte: zunächst deckte die Augen vollkommene Nacht, dann lernten sie ungefähr den Stand der Möbel zu unterscheiden und nahmen den schwach durchsickernden Schimmer des Außenlichts, einen bleichen Schein an den Wänden wahr. Adrian, in seinem Sammetstuhl, entschuldigte sich wiederholt ins Dunkel hinein wegen der Zumutung, aber Schwerdtfeger, der den Savonarola-Sessel vorm Schreibtisch genommen hatte, war völlig einverstanden. Wenn jenem das guttue – und er könne sich sehr wohl vorstellen, wie gut es ihm tun müsse –, so sei es auch ihm das Allerliebste. Man unterhielt sich gedämpft, ja leise, teils weil Adrians Zustand dazu anhielt, teils weil man im Finsteren unwillkürlich die Stimme senkt. Selbst eine gewisse Neigung zum Verstummen, zum Ausgehen des Gesprächs erzeugt das Dunkel, aber Schwerdtfegers Dresdener Zivilisation und gesellschaftliche Schulung duldete keine Pause, flüssig plauderte er über tote Punkte hinweg, der Ungewißheit zum Trotz, in der man sich bei herrschender Nacht über die Reaktion des anderen befindet. Man streifte die abenteuerliche politische Lage, die Kämpfe in der Reichshauptstadt, kam dann auf neueste Musik zu sprechen, und Rudolf pfiff mit großer Reinheit etwas aus Falla's »Nächten in spanischen Gärten« und aus Debussys Sonate für {508} Flöte, Violine und Harfe. Die Bourrée aus »Love's Labour Lost« pfiff er auch, genau in der richtigen Tonart, und gleich darauf das komische Thema des weinenden Hündchens aus dem Marionettenspiel »Von der gottlosen List«, ohne recht beurteilen zu können, ob Adrian das Vergnügen mache oder nicht. Schließlich seufzte er und sagte, es sei ihm gar nicht nach Pfeifen zu Mute, vielmehr recht schwer ums Herz, oder, wenn nicht schwer, so doch ärgerlich, verdrossen, ungeduldig, auch ratlos-sorgenvoll immerhin, also dennoch schwer. Warum? Darauf zu antworten sei natürlich nicht leicht und nicht einmal recht zulässig, es sei denn allenfalls unter Freunden, wo das Gebot der Diskretion nicht so ins Gewicht falle, dies Kavaliersgebot, Weiberaffairen für sich zu behalten, das er gewiß zu halten pflege, er sei kein Schwätzer. Aber ein bloßer Kavalier sei er auch nicht, man irre sich sehr, wenn man nur dergleichen in ihm sähe, – einen oberflächlichen Lebemann und Seladon, das sei ja ein Graus. Er sei ein Mensch und ein Künstler, und auf die Kavaliersdiskretion pfeife er – insofern sei ihm allerdings nach Pfeifen zu Mute –, wo ja doch der, zu dem er spreche, sicher so gut Bescheid wisse, wie alle Welt. Kurzum, es handle sich um Ines Rodde, Institoris richtiger, und um sein Verhältnis zu ihr, für das er nichts könne. »Ich kann nichts dafür, Adrian, glaube – glauben Sie mir! Ich habe sie nicht verführt, sondern sie mich, und die Hörner des kleinen Institoris, um diesen dummen Ausdruck zu gebrauchen, sind ausschließlich ihr Werk, nicht meines. Was wollen Sie machen, wenn eine Frau sich wie eine Ertrinkende an Sie klammert und Sie durchaus zum Geliebten will? Wollen Sie ihr Ihr
Weitere Kostenlose Bücher