Doktor Faustus
Obergewand in den Händen lassen und fliehen?« Nein, das tut man nicht mehr, sondern da gibt es nun doch wieder Kavaliersgebote, denen man sich nicht versagt, angenommen noch dazu, die Frau wäre hübsch, wenn auch auf etwas fatale und leidende Weise. Aber er sei auch fatal und leidend, ein angestrengter und oft kummervoller Künstler; er {509} sei kein Springinsfeld oder Sonnenjüngling, oder was man sich sonst unter ihm vorstelle. Ines stelle sich allerlei unter ihm vor, ganz Falsches, und das schaffe ein schiefes Verhältnis, als ob nicht ein solches Verhältnis an und für sich schon schief genug sei mit den albernen Situationen, die es fortwährend mit sich bringe und mit seiner Nötigung zur Vorsicht in jeder Beziehung. Ines komme über all das leichter hinweg, aus dem einfachen Grunde, weil sie leidenschaftlich liebe, – er könne das umso eher aussprechen, als sie es ja auf Grund falscher Vorstellungen tue. Er sei da im Nachteil, er liebe nicht: »Ich habe sie niemals geliebt, das bekenne ich offen; ich hatte immer nur brüderlich-kameradschaftliche Empfindungen für sie, und daß ich mich so mit ihr einließ und dieses dumme Verhältnis sich hinschleppt, an das sie sich klammert, das war eine bloße Sache der Kavalierspflicht auf meiner Seite.« Er müsse dazu aber im Vertrauen Folgendes sagen: Es habe sein Mißliches, ja Degradierendes, wenn die Leidenschaft, eine geradezu verzweifelte Leidenschaft, auf seiten der Frau sei, während der Mann nur Kavalierspflichten erfülle. Es verkehre irgendwie das Besitzverhältnis und führe zu einem unerfreulichen Übergewicht der Frau in der Liebe, so, daß er sagen müsse, Ines gehe mit seiner Person, seinem Körper um, wie eigentlich und richtigerweise der Mann umgehe mit dem einer Frau – – wozu noch ihre krankhafte und krampfhafte, dabei ganz ungerechtfertigte Eifersucht komme auf den Alleinbesitz seiner Person: ungerechtfertigt, wie gesagt, denn er habe gerade genug an ihr, übrigens auch genug
von
ihr und ihrer Umklammerung, und sein unsichtbares Gegenüber könne sich kaum vorstellen, welch Labsal gerade unter diesen Umständen für ihn die Nähe eines hochstehenden und von ihm selbst hochgehaltenen Mannes sei, die Sphäre eines solchen, der Austausch mit einem solchen. Man beurteile ihn meistens falsch: er führe viel lieber ein ernstes, ihn hebendes und förderndes Gespräch mit einem {510} solchen Mann, als daß er bei Weibern liege; ja, wenn er sich selber charakterisieren solle, so glaube er nach genauer Prüfung am besten zu tun, sich eine platonische Natur zu nennen.
Und plötzlich, gleichsam zur Illustration des eben Gesagten, kam Rudi auf das Violin-Konzert zu sprechen, von dem er so sehr wünsche, Adrian möge es für ihn schreiben, es ihm auf den Leib schreiben, womöglich unter Zusprechung des ausschließlichen Aufführungsrechtes, das sei sein Traum! »Ich brauche Sie, Adrian, zu meiner Hebung, meiner Vervollkommnung, meiner Besserung, auch zu meiner Reinigung, gewissermaßen, von den anderen Geschichten. Auf mein Wort, so ist es, es ist mir niemals ernster mit einer Sache, mit einem Bedürfnis gewesen. Und das Konzert, das ich mir von Ihnen wünsche, ist nur der zusammengedrängteste, ich möchte sagen: der symbolische Ausdruck für dies Bedürfnis. Wunderbar würden Sie es machen, viel besser als Delius und Prokofieff, – mit einem unerhört einfachen und sangbaren ersten Thema im Hauptsatz, das nach der Kadenz wieder einsetzt, – das ist immer der beste Augenblick im klassischen Violin-Konzert, wenn nach der Solo-Akrobatik das erste Thema wieder einsetzt. Aber Sie brauchen es gar nicht so zu machen, Sie brauchen überhaupt keine Kadenz zu machen, das ist ja ein Zopf, Sie können alle Konventionen umstoßen und auch die Satz-Einteilung, – es braucht gar keine Sätze zu haben, meinetwegen könnte das Allegro molto in der Mitte stehen, ein wahrer Teufelstriller, bei dem du mit dem Rhythmus jonglierst, wie nur Sie es können, und das Adagio könnte zum Schluß kommen, als Verklärung, – es könnte alles gar nicht unkonventionell genug sein, und jedenfalls wollte ich es hinlegen, daß den Leuten die Augen übergehen. Einverleiben wollt ich es mir, daß ich's im Schlafe spielen könnte und es hegen und pflegen in jeder Note wie eine Mutter, denn Mutter wäre ich ihm, und Sie wären der Vater, – es wäre zwischen uns wie ein Kind, ein platonisches Kind, – ja, {511} unser Konzert, das wäre so recht die Erfüllung von allem, was
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