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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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konservativer war. Keineswegs empfanden sie den Krieg als den tiefen und scheidenden historischen Einschnitt, als der er uns erschien, sondern sahen in ihm eine glücklich abgelaufene Störung, nach deren Beendigung das Leben wieder in die Bahn einlenken mochte, aus welcher er es gestoßen. Ich beneidete sie darum. Ich beneidete insonderheit Frankreich um die Rechtfertigung und Bestätigung, die, wenigstens scheinbar, seiner bewahrend bürgerlichen Geistesverfassung durch den Sieg zuteil geworden war; um das Gefühl von Geborgenheit im Klassisch-Rationalen, das es aus dem Siege schöpfen durfte. Gewiß, ich hätte mich damals jenseits des Rheines wohler und mehr zu Hause gefühlt, als bei uns, wo, wie gesagt, viel Neues, Verstörendes und Beängstigendes, mit dem ich mich jedoch von Gewissens wegen auseinanderzusetzen hatte, auf meine Weltanschauung eindrang, – und hier denke ich an die verworrenen Diskussionsabende in der Schwabinger Wohnung eines gewissen Sixtus Kridwiß, dessen Bekanntschaft ich im Schlaginhaufen'schen Salon gemacht, und auf den ich sofort zurückkommen werde, um hier nur vorläufig zu sagen, daß die bei ihm stattfindenden Zusammenkünfte und geistigen Beratungen, an denen ich mich aus purer Gewissenhaftigkeit öfters beteiligte, mir nicht wenig zu {514} setzten, – während ich zugleich mit ganzer, tief erregter und oft entsetzter Seele der Geburt eines Werkes aus freundschaftlicher Nähe beiwohnte, das gewisser kühner und prophetischer Beziehungen zu jenen Erörterungen nicht entbehrte, sie auf höherer, schöpferischer Ebene bestätigte und verwirklichte … Füge ich nun hinzu, daß ich bei alledem noch mein Lehramt zu betreuen und meine Pflichten als Hausvater vor Vernachlässigung zu bewahren hatte, so wird man die Überanstrengung verstehen, die damals mein Teil war und zusammen mit einer kalorienarmen Ernährung mein Körpergewicht nicht wenig herabsetzte.
    Auch dies sage ich nur zur Charakteristik der geschwinden, gefährlichen Zeitläufte und gewiß nicht, um die Teilnahme des Lesers auf meine unbeträchtliche Person zu lenken, welcher immer nur ein Platz im Hintergrunde dieser Memoiren gebührt. Meinem Bedauern darüber, daß mein mitteilender Eifer hie und da den Eindruck der Gedankenflucht erwecken muß, habe ich schon Ausdruck gegeben. Es ist jedoch ein irriger Eindruck, denn ich halte sehr wohl fest an meinen gedanklichen Vorsätzen und habe nicht vergessen, daß ich einen zweiten packenden und vielsagenden Vergleich, außer dem mit der kleinen Seejungfer, anführen wollte, dessen Adrian sich zur Zeit seiner quälendsten Leiden bediente.
    »Wie mir zu Mute ist?« sagte er damals zu mir. »Ungefähr wie Johanni Martyr im Ölkessel. Ziemlich genau so mußt du dir's vorstellen. Ich hocke als frommer Dulder im Schaff, unter dem ein lustiges Holzfeuer prasselt, gewissenhaft angefacht von einem Braven mit dem Hand-Blasebalg; und vor den Augen kaiserlicher Majestät, die sich die Sache ganz aus der Nähe ansieht – es ist der Kaiser Nero, mußt du wissen, ein prächtiger Großtürke mit einem italienischen Brokat im Rücken, – gießt mir der Henkersknecht mit Schamtasche und Flatterjacke aus einer gestielten Schöpfkelle das siedende Öl, worin ich andäch {515} tig sitze, über den Nacken. Ich werde begossen nach der Kunst wie ein Braten, ein Höllenbraten, es ist sehenswert, und du bist eingeladen, dich unter die aufrichtig interessierten Zuschauer hinter der Schranke zu mischen, die Magistratspersonen, das geladene Publikum, in Turbanen teils und teils in gut altdeutschen Kappen mit Hüten noch obendrauf. Biedere Städter – und ihre betrachtsame Stimmung erfreut sich des Schutzes von Hellebardieren. Einer zeigt es dem andern, wie's einem Höllenbraten ergeht. Sie haben zwei Finger an der Wange und zwei unter der Nase. Ein Feister hebt die Hand, als wollte er sagen: ›Bewahre Gott einen jeden!‹ Einfältige Erbautheit auf den Gesichtern der Frauen. Siehst du's? wir sind alle dicht beieinander, die Szene ist treulich angefüllt mit Figur. Das Hündchen Herrn Neros ist auch mitgekommen, damit kein Fleckchen leer ist. Es hat ein zorniges Pinscher-Mienchen. Im Hintergrund sieht man die Türme, Spitzerker und Giebel von Kaisersaschern …«
    Natürlich hätte er sagen sollen: von Nürnberg. Denn was er beschrieb, mit derselben vertrauten Sichtbarkeit beschrieb, wie den Übergang des Nixenleibes in den Fischschwanz, so daß ich es erkannt hatte, lange bevor er mit seiner

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