Doktor Faustus
Bürgerhaus aus dem 16. Jahrhundert, das schon dem Großvater des Besitzers gehört hatte, mit fünf Fenstern Front im ersten Stock über dem Eingangstor, und nur vieren, mit Läden versehenen, im zweiten, wo erst die Wohnräume lagen und außen, über dem schmucklosen, ungetünchten Unterbau, die Holzwerkdekoration begann. Selbst die Stiege verbreiterte sich erst nach dem Podest {62} des ziemlich hoch über der steinernen Diele gelegenen Halbgeschosses, so daß Besucher und Käufer – und es kamen solche auch vielfach von auswärts, von Halle und selbst von Leipzig – einen nicht unbeschwerlichen Aufgang zu dem Ziel ihrer Wünsche, dem Instrumenten-Magazin hatten, welches, wie ich gleich zu zeigen gedenke, allerdings eine steile Treppe wert war.
Nikolaus, ein Witwer – seine Frau war in jungen Jahren gestorben –, hatte bis zu Adrians Eintritt das Haus allein mit einer alteingesessenen Wirtschafterin, Frau Butze, einer Magd und einem jungen Italiener aus Brescia, namens Luca Cimabue (er führte wirklich den Familiennamen des Trecento-Madonnenmalers), bewohnt, der sein Geschäftsgehilfe und Schüler im Geigenbau war; denn Oheim Leverkühn war auch ein Geigenmacher. Er war ein Mann mit ungeordnet herumhängendem aschfarbenen Haar und einem bartlosen, sympathisch ausgearbeiteten Gesicht, dessen Backenknochen sehr stark hervortraten, mit gebogener, etwas hängender Nase, einem großen, ausdrucksvollen Mund und in bemühter Herzensgüte, auch Klugheit dreinblickenden braunen Augen. Zu Hause sah man ihn stets in einer hochgeschlossenen faltigen Handwerkerbluse aus Barchent. Ich glaube wohl, daß es den Kinderlosen gefreut hatte, ein junges verwandtes Blut in sein viel zu geräumiges Haus aufzunehmen. Auch habe ich gehört, daß er den Bruder auf Buchel wohl für das Schulgeld aufkommen ließ, für Losament und Verpflegung aber nichts nahm. Durchaus hielt er Adrian, auf den er ein unbestimmt erwartungsvolles Auge hatte, wie seinen eigenen Sohn und genoß es sehr, daß dieser seine Tischgesellschaft familiär vervollständigte, die so lange nur aus der genannten Frau Butze und, patriarchalischerweise, Luca, seinem Gesellen bestanden hatte.
Daß dieser junge Welsche, ein freundlicher, angenehm gebrochen redender Jüngling, der doch wohl daheim die beste {63} Gelegenheit gehabt hätte, sich in seinem Fache weiter auszubilden, den Weg nach Kaisersaschern zu Adrians Onkel gefunden hatte, hätte wundernehmen können; aber es deutete auf die geschäftlichen Verbindungen hin, die Nikolaus Leverkühn nach allen Seiten, nicht nur nach deutschen Zentren des Instrumentenbaues, wie Mainz, Braunschweig, Leipzig, Barmen, sondern auch zu Firmen des Auslandes, nach London, Lyon, Bologna, sogar nach New York unterhielt. Von überall dorther bezog er seine sinfonische Ware, von der ein nicht nur der Qualität nach erstklassiges, sondern auch zuverlässig vollständiges, das nicht allerwärts gleich Greifbare mitumfassendes Repertorium zu unterhalten, er in dem Rufe stand. So brauchte etwa nur irgendwo im Reiche ein Bach-Fest bevorzustehen, zu dessen stilgerechten Aufführungen man einer Oboe d'amore, der lange aus den Orchestern verschwundenen tieferen Oboe, bedurfte, damit das alte Haus an der Parochialstraße den Kundenbesuch eines herangereisten Musikus empfing, der sicher gehen wollte und denn auch das elegische Instrument an Ort und Stelle ausprobieren konnte.
Das Magazin in den Räumen des Halbgeschosses, aus denen oft, in den verschiedensten Klangfarben, ein solches durch die Oktaven laufendes Probieren erscholl, bot einen herrlichen, lockenden, ich möchte sagen: kulturell bezaubernden Anblick, der die akustische Phantasie zu einem gewissen inneren Brausen aufregte. Mit Ausnahme des Klaviers, das Adrians Pflegevater der Spezial-Industrie überließ, war dort alles ausgebreitet, was da klingt und singt, was näselt, schmettert, brummt, rasselt und dröhnt, – und übrigens war auch das Tasteninstrument, in Gestalt des lieblichen Glockenklaviers, der Celeste, immer vertreten. Es hingen da hinter Glas, oder lagen in Kästen gebettet, die wie Mumiensärge nach der Gestalt des Bewohners geformt waren, die reizenden Geigen, bald gelber, bald brauner gelackt, die schlanken, am Griffe silberumsponnenen Bögen in {64} den Haltern der Deckel verwahrt, – italienische, deren reine Wohlgestalt dem Kenner ihre cremonesische Herkunft verraten mochte, aber auch Tiroler, niederländische, sächsische, Mittenwalder und solche aus
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