Doktor Faustus
eher, fast leer: Nur zwei Parteien noch, außer uns, speisten an der Tanzplatte ferner stehenden Tischen, ein leidend aussehender Herr mit seiner Pflegerin in Diakonissentracht an dem einen, eine Gruppe von Wintersportlern an dem anderen. Auf flachem Podium spielte ein Orchesterchen von fünf Mann den Gästen Salonstücke auf, zwischen denen die Künstler in langen Pausen, zu niemandes Schaden, der Ruhe pflogen. Was sie boten, war dumm, und sie boten es auch noch lahm und schlecht, so daß nach dem Backhuhn Rudi Schwerdtfeger es nicht länger aushielt und beschloß, recht wie es im Buche steht, seinen Stern zu enthüllen. Er nahm dem Violinisten die Geige weg und improvisierte, nachdem er sie ein wenig in den Händen gedreht und ihre Herkunft festgestellt hatte, sehr großzügig darauf, indem er zum Auflachen der Unsrigen einige Griffe aus der Kadenz »seines« Violinkonzerts einflocht. Den Musikern stan {622} den die Münder offen. Den Pianisten, einen müdäugigen Jüngling, der sich gewiß Höheres erträumt hatte, als sein Gewerbe dahier, fragte er dann, ob er die »Humoreske« von Dvořák begleiten könne, und spielte auf der mäßigen Fiedel das allerliebste Stück mit seinen vielen Vorschlägen, anmutigen Rutschern und schmucken Doppelgriffen so keck und brillant, daß er lauten Applaus gewann von jedermann im Lokal, von uns, von den Nachbartischen, den verblüfften Musicis und selbst von den beiden Kellnern.
Es war im Grunde ein konventioneller Spaß, wie Schildknapp aus Eifersucht mir auch zuraunte, aber dramatisch und reizend nun einmal doch, kurz »nett«, ganz im Rudi Schwerdtfeger-Stil. Wir blieben länger, als gedacht, zuletzt ganz allein, bei unserem Kaffee und Enzianschnaps sitzen, und selbst ein Tänzchen auf der Glasplatte wurde gemacht: Schildknapp und Schwerdtfeger schritten abwechselnd mit Fräulein Godeau und auch mit meiner guten Helene nach Gott weiß welchem Ritus darauf herum, unter den wohlwollenden Blicken dreier Enthaltsamer. Draußen wartete schon der Schlitten, ein geräumiger Zweispänner, mit Pelzdecken wohl versehen. Da ich den Platz neben dem Kutscher wählte und Schildknapp sein Vorhaben wahr machte, sich auf Skiern ziehen zu lassen (der Fuhrmann hatte welche mitgebracht), so kamen die anderen fünf ohne Unbequemlichkeit im Innern des Fahrzeugs unter. Es war der glücklichst geplante Teil des Tagesprogrammes, wenn man davon absieht, daß Rüdigers mannhafte Idee ihm nachträglich übel anschlug. Im eisigen Fahrtwind stehend, über Unebenheiten geschleudert und mit Schnee bestäubt, zog er sich eine Unterleibserkältung zu, einen seiner entkräftenden Darmkatarrhe, der ihn für Tage ans Bett fesselte. Doch das war ein später erst sich enthüllendes Malheur. Wie ich persönlich eine Vorliebe hege für das warm verpackte Dahingleiten bei gedämpftem Schellenklang durch die reine, kräftige Frostluft, so {623} schienen alle die Situation zu genießen. In meinem Rücken Adrian Aug' in Auge mit Marien zu wissen, schuf mir ein von Neugier, Freude, Sorge und innigen Wünschen erregtes Herzklopfen.
Linderhof, das Rokoko-Schlößchen Ludwigs II., liegt in einer Wald- und Berg-Einsamkeit von großartiger Schönheit. Königliche Menschenscheu hätte sich keine märchenhaftere Zuflucht finden können. Freilich ist, bei aller Hochstimmung, die der Zauber der Örtlichkeit schaffen mag, der Geschmack, in welchem die rastlose Baulust des Weltflüchtigen – dieser Ausdruck des Dranges nach Verherrlichung seines Königtums – sich ausprägte, ja auch wieder eine Verlegenheit. Wir machten halt, wir gingen unter der Führung eines Kastellans durch die überladenen Prunk-Kabinette, die die »Wohnzimmer« des Phantasiehauses bildeten, und wo der Gemütskranke seine nur von der Idee seiner Majestät erfüllten Tage verbrachte, sich von Bülow vorspielen ließ, der charmierenden Stimme Kainzens lauschte. Der größte Raum in Fürstenschlössern pflegt der Thronsaal zu sein. Hier gibt es keinen. Es gibt statt dessen das Schlafzimmer, dessen Dimensionen im Verhältnis zu der Kleinheit der Tag-Aufenthalte gewaltig sind, und dessen feierlich erhöhtes Paradebett, kurz wirkend durch seine übertriebene Breite, wie ein Aufbahrungslager von goldenen Kandelabern flankiert ist.
Mit anständigem Interesse, auch wohl mit verhohlenem Kopfschütteln nahmen wir alles in Augenschein und setzten dann bei aufklarendem Himmel unsere Fahrt gegen Ettal fort, das wegen seiner Benediktiner-Abtei und zugehörigen
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