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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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der Corona mit dem Übermut unternehmender Leute begrüßt, in Waldshut zu uns stieg, erfuhr ich einen seltsamen Schrecken – wenn dies Wort meine Empfindungen trifft. Jedenfalls war etwas von Schrecken darin einschlägig. Erst jetzt nämlich wurde mir bewußt, daß in dem Abteil, das wir besetzt hielten, auf engem Raum also (wenn es auch kein Coupé, sondern die offene Sektion eines durchgehenden Waggons zweiter Klasse war) die schwarzen, die blauen und die gleichen Augen, Anziehung und Indifferenz, Erregung und Gleichmut, unter
seinen
Augen beisammen waren, und daß sie beisammen bleiben würden während dieses ganzen Ausflugtages, der damit gewissermaßen im Zeichen stand dieser Konstellation, vielleicht darin hatte stehen sollen, so daß der Eingeweihte in ihr die eigentliche Idee des Tages erkennen mochte.
    Es traf sich natürlich und richtig, daß nach Adrians Hinzukommen die Landschaft draußen sich ins Bedeutendere zu heben und, allerdings aus der Ferne noch, verschneite Hochwelt hereinzublicken begann. Schildknapp tat sich hervor, indem er diese und jene Gipfelwand, die man unterschied, bei Namen zu nennen wußte. Die bayrischen Alpen weisen keine Giganten hehrsten Ranges auf unter ihren Erhebungen, aber es war doch, im reinen Schneekleide, eine kühn und ernst sich aufbauende, zwischen Waldschlucht und Weite wechselnde Winterpracht, in die wir hineinfuhren. Dabei war der Tag bedeckt, zu frostigem Weiterschneien geneigt und sollte sich erst gegen Abend klären. Dennoch galt unsere Aufmerksamkeit meist den Bildern draußen, selbst unterm Gespräch, das von Marie auf das in Zürich gemeinsam Erlebte, den Abend in der {620} Tonhalle, das Violinkonzert gelenkt wurde. Ich beobachtete Adrian in der Unterhaltung mit ihr. Er hatte ihr gegenüber Platz genommen, die zwischen Schildknapp und Schwerdtfeger saß, während das Tantchen sich Helenen und mir in gutmütigem Geplauder widmete. Deutlich konnte ich sehen, wie er sich vor Indiskretion zu hüten hatte beim Anschauen ihres Gesichtes, ihrer Augen. Mit seinen blauen sah Rudolf dieser Versunkenheit, diesem Sich-besinnen, Sich-abwenden zu. Hatte es nicht etwas von Trost und Entschädigung, daß Adrian den Geiger vor dem Mädchen gar so emphatisch lobte? Da sie sich des Urteils über die Musik bescheiden enthielt, war nur von der Aufführung die Rede, und Adrian erklärte mit Nachdruck, die Anwesenheit des Solisten dürfe ihn nicht hindern, sein Spiel meisterhaft, vollendet, einfach unübertrefflich zu nennen, – woran er noch einige sehr warme, ja preisende Worte über Rudis künstlerische Entwicklung im allgemeinen und seine zweifellos große Zukunft schloß.
    Der Gefeierte schien das nicht hören zu können, rief »Na, na!« und »Tu di fei halten!«, versichernd, der Meister übertreibe entsetzlich, war aber rot vor Vergnügen. Zweifellos war es ihm lieb, vor Marien so herausgestrichen zu werden, aber die Freude darüber, daß es aus diesem Munde geschah, war auch unverkennbar, und seine Dankbarkeit äußerte sich in der Bewunderung von Adrians Ausdrucksweise. Die Godeau hatte von der Prager fragmentarischen Aufführung der »Apokalypse« gehört und gelesen und erkundigte sich nach dem Werk. Adrian wehrte ab.
    »Sprechen wir nicht«, sagte er, »von diesen frommen Sünden!«
    Davon war Rudi begeistert.
    »Fromme Sünden!« wiederholte er jubelnd. »Haben Sie das gehört? Wie er redet! Wie er die Worte zu brauchen weiß! Er ist großartig, unser Meister!«
    {621} Dabei drückte er Adrians Knie, wie es seine Art war. Er gehörte zu den Menschen, die immer zugreifen, berühren, anfassen müssen, den Oberarm, den Ellbogen, die Schulter. Er tat es sogar bei mir und sogar bei Frauen, die es meistens nicht ungern hatten. –
    In Oberammergau machte unsere kleine Gesellschaft einen Kreuz- und Quer-Spaziergang durch die gepflegte Ortschaft mit ihren idealischen, an Schnitzereien der Dachfirste und Balkone reichen Bauernhäusern, den Wohnungen von Jüngern, Heiland und Gottesmutter. Vorübergehend, während die Freunde auch noch den nahen Kalvarienberg bestiegen, sonderte ich mich ab, um ein mir bekanntes Fuhrgeschäft aufzusuchen und einen Schlitten zu bestellen. Ich traf die sechs anderen wieder zum Mittagsmahl in einem Gastlokal, das einen von Tischchen umgebenen, gläsernen, von unten zu erleuchtenden Tanzboden hatte und während der Saison, zur Zeit der Spiele gewiß, ein überfüllter Treffpunkt der Fremden sein mochte. Jetzt war es, zu unserer Zufriedenheit

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