Doktor Faustus
hob den Kopf mit dem Versuche, etwas zu sagen, doch traten sogleich blutige Blasen zwischen seinen Lippen hervor, deren sanfte Dicke mir auf einmal rührend schön erschien, er verdrehte die Augen, und der Kopf fiel hart auf das Holz zurück.
Ich kann nicht sagen, welches jammervolle Erbarmen mit dem Menschen mich fast überwältigend durchdrang. Ich fühlte, daß ich ihn auf eine Weise immer lieb gehabt und muß gestehen, daß meine Teilnahme weit inniger bei ihm war, als bei der Unseligen, in ihrer Gesunkenheit gewiß Bedauernswerten, die durch Leiden und leidbetäubendes, entsittlichendes Laster zu der abscheulichen Tat bereitet worden war. Ich erklärte mich als guten Bekannten beider und riet, den Schwerverletzten hinüber in die Universität zu tragen, bei deren Pedell man nach der Sanität, der Polizei telephonieren könne, und wo sich meines Wissens auch eine kleine Unfallstation befinde. Ich ordnete an, daß man die Täterin gleichfalls dorthin bringen solle.
Dies alles geschah. Wir hoben, ein beflissener, bebrillter junger Mann und ich, den armen Rudolf zum Wagen hinaus, hinter dem schon zwei oder drei andere Trams sich aufgestaut hatten. Aus einer von diesen eilte nun doch ein Arzt, mit Instrumentenköfferchen, zu uns herüber und dirigierte, ziemlich überflüssig, das Tragewerk. Auch ein Presse-Reporter kam, Erkundigungen einziehend, herzu. Die Erinnerung quält mich, welche Mühe es machte, den Pedell aus seiner Wohnung im Erdgeschoß herauszuklingeln. Der Arzt, ein jüngerer Mann, {653} der sich allen vorstellte, versuchte, als man den Bewußtlosen auf ein Sofa gebettet, erste Hilfe zu leisten. Das Sanitätsautomobil war überraschend schnell zur Stelle. Rudolf starb, wie der Arzt es mir nach der Untersuchung gleich als leider wahrscheinlich bezeichnete, auf dem Wege zum städtischen Krankenhaus.
Für mein Teil schloß ich mich den später eintreffenden Polizeibeamten und ihrer nun krampfhaft schluchzenden Arrestantin an, um den Kommissar mit ihren Bewandtnissen bekannt zu machen und ihre Einlieferung in die Psychiatrische Klinik zu befürworten. Es wurde dies jedoch für die heutige Nacht nicht mehr bewilligt.
Von den Kirchen schlug es Mitternacht, als ich dies Amt verließ und mich, nach einem Auto Ausschau haltend, zu einem noch übrig bleibenden sauren Gange aufmachte: dem in die Prinzregentenstraße. Ich betrachtete es als meine Obliegenheit, den kleinen Gatten, so schonend ich konnte, von dem Vorgefallenen zu verständigen. Eine Fahrgelegenheit bot sich erst, als es nicht mehr lohnte, sie wahrzunehmen. Ich fand die Haustür verschlossen, aber auf mein Schellen ging das Treppenlicht an, und Institoris selbst kam herunter, – um statt seiner Frau mich vor dem Tore zu finden. Er hatte eine Art, den Mund nach Luft schnappend zu öffnen und dabei die Unterlippe fest an die Zähne zu ziehen.
»Ja, wie denn?« stammelte er. »Sie sind es? Was führt Sie … Haben Sie mir …«
Ich sagte auf der Treppe fast nichts. Droben in seinem Wohnzimmer, dort, wo ich Ines' beklemmende Bekenntnisse entgegengenommen, berichtete ich ihm nach einigen vorbereitenden Worten, was ich mitangesehen. Er hatte gestanden und setzte sich rasch in einen der Korbsessel, als ich ausgeredet, bewies dann aber die Fassung eines Mannes, der längst in drückend bedrohlicher Atmosphäre gelebt hatte.
{654} »So also«, sagte er, »sollte es kommen.« Und man verstand deutlich, daß er nur ängstlich darauf gewartet hatte, wie es kommen werde.
»Ich will zu ihr«, erklärte er und stand wieder auf. »Ich hoffe, man wird mich dort« (er meinte das Polizeigefängnis) »mit ihr sprechen lassen.«
Für heute nacht konnte ich ihm darauf nicht viel Hoffnung machen, aber er meinte mit schwacher Stimme, es sei seine Pflicht, es zu versuchen, warf sich in den Mantel und eilte aus der Wohnung.
Allein in dem Zimmer, wo Inessens Büste distinguiert und fatal vom Sockel blickte, gingen meine Gedanken dorthin, wohin sie, wie man mir glauben wird, während der letzten Stunden schon öfters, schon anhaltend gegangen waren. Noch eine schmerzliche Benachrichtigung, so schien mir, war zu tätigen. Aber eine eigentümliche Starrheit, die meine Glieder beherrschte und sich sogar auf meine Gesichtsmuskeln schlug, hinderte mich, den Telephonhörer abzuheben und die Verbindung mit Pfeiffering zu verlangen. Das ist nicht wahr, ich hob ihn ab, ich hielt ihn gesenkt in der Hand und hörte gedämpft und unterseeisch in der Leitung das amtierende
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