Doktor Faustus
Fräulein sich melden. Aber eine aus meiner schon krankhaften Übermüdung geborene Vorstellung, nämlich, daß ich im Begriffe sei, ganz unnütz nächtlicherweile Haus Schweigestill zu alarmieren, daß es
nicht nötig
sei, Adrian meine Erlebnisse zu erzählen, ja, daß ich mich auf irgend eine Weise lächerlich damit machen würde, vereitelte mein Vorhaben, und ich legte den Hörer in die Gabel zurück.
XLIII
Meine Erzählung eilt ihrem Ende zu – das tut alles. Alles drängt und stürzt dem Ende entgegen, in Endes Zeichen steht die Welt, – steht darin wenigstens für uns Deutsche, deren tau {655} sendjährige Geschichte, widerlegt, ad absurdum geführt, als unselig verfehlt, als Irrweg erwiesen durch dieses Ergebnis, ins Nichts, in die Verzweiflung, in einen Bankerott ohne Beispiel, in eine von donnernden Flammen umtanzte Höllenfahrt mündet. Wenn es wahr ist, was der deutsche Spruch wahrhaben will, daß ein jeder Weg zu rechtem Zwecke auch recht ist in jeder seiner Strecken, so will eingestanden sein, daß der Weg, der in dies Unheil ging – und ich gebrauche das Wort in seiner strengsten, religiösesten Bedeutung – heillos war überall, an jedem seiner Punkte und Wendungen, so bitter es die Liebe ankommen mag, in diese Logik zu willigen. Die unvermeidliche Anerkennung der Heillosigkeit ist nicht gleichbedeutend mit der Verleugnung der Liebe. Ich, ein schlichter deutscher Mann und Gelehrter, habe viel Deutsches geliebt, ja, mein unbedeutendes, aber der Faszination und Hingabe fähiges Leben war der Liebe, der oft verschreckten, der immer bangen, aber in Ewigkeit getreuen Liebe zu einem bedeutend deutschen Menschen- und Künstlertum geweiht, dessen geheimnisvolle Sündhaftigkeit und schrecklicher Abschied nichts über diese Liebe vermögen, welche vielleicht, wer weiß, nur ein Abglanz der Gnade ist.
Eingezogen, in Erwartung des Verhängnisses, über dessen Erfüllung der Mensch nicht hinauszudenken vermag, halte ich mich in meiner Freisinger Klause und meide den Anblick unseres gräßlich zugerichteten München, der gefällten Statuen, der aus leeren Augenhöhlen blickenden Fassaden, die das hinter ihnen gähnende Nichts verstellen, aber geneigt scheinen, es offenbar zu machen, indem sie die schon das Pflaster bedeckenden Trümmer mehren. Mein Herz krampft sich in Erbarmen zusammen mit den törichten Gemütern meiner Söhne, die geglaubt haben, wie die Masse des Volkes, geglaubt, gejubelt, geopfert und gekämpft, und nun längst schon, wie Millionen ihrer Art, mit starrenden Augen die Ernüchterung {656} schmecken, die bestimmt ist, zu letzter Ratlosigkeit, zu umfassender Verzweiflung zu werden. Mir, der an ihren Glauben nicht glauben, ihr Glück nicht teilen konnte, wird ihre Seelennot sie nicht näher bringen. Auch zur Last noch werden sie sie mir legen, – als ob die Dinge anders verlaufen wären, hätte ich ihren verworfenen Traum mitgeträumt. Gott helfe ihnen. Ich bin allein mit meiner alten Helene, die für mein Leibliches sorgt, und der ich zuweilen Abschnitte, denen ihre Schlichtheit gewachsen ist, aus diesem Schreibwerk vorlese, auf dessen Beendigung mitten im Untergang all mein Sinnen gerichtet ist. –
Die Prophetie des Endes, genannt »Apocalipsis cum figuris«, erklang, schneidend und groß, im Februar 1926 zu Frankfurt am Main, ungefähr ein Jahr nach den schreckhaften Vorgängen, die ich zu berichten hatte, und es mochte zum Teil mit der Niedergeschlagenheit zusammenhängen, die diese ihm hinterlassen hatten, daß Adrian sich nicht überwand, seine übliche Zurückhaltung zu durchbrechen und dem hoch-sensationellen, wenn auch von viel bösem Geschrei und insipidem Gelächter begleiteten Ereignis beizuwohnen. Er hat das Werk, eines der beiden Haupt-Wahrzeichen seines herben und stolzen Lebens, niemals gehört, – was allerdings nach allem, was er wohl über das »Hören« zu sagen pflegte, nicht allzu sehr zu beklagen erlaubt ist. Außer mir, der ich mich für die Reise frei zu machen wußte, war es aus unserm Bekanntenkreise nur die liebe Jeanette Scheurl, die trotz ihrer geringen Mittel zu der Aufführung nach Frankfurt fuhr und dem Freunde dann zu Pfeiffering in ihrem sehr persönlichen, aus Französisch und Bayrisch gemischten Dialekt darüber berichtete. Besonders gern sah er damals die elegante Bäuerin bei sich: sie besaß für ihn nun einmal eine wohltätig beruhigende Gegenwart, eine Art von beschützender Kraft, und tatsächlich habe ich ihn mit ihr in einem Winkel der
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