Doktor Faustus
als Ursache wirkend, mit der Stagnation seiner schöpferischen Kräfte zusammen: Schwere Migräneanfälle hielten ihn im Dunkel, Magen-, Bronchial- und Rachenkatarrhe setzten ihm namentlich während des Winters 1926 wechselnd zu und hätten allein genügt, ihm die Reise nach Frankfurt zu verwehren, – wie sie ihm eine andere, menschlich gesehen noch dringlichere, unwidersprechlich, handgreiflich und nach dem kategorischen Spruch des Arztes verwehrten.
Gleichzeitig nämlich fast auf den Tag – es ist sonderbar zu sagen – segneten gegen Ende des Jahres Max Schweigestill und Jonathan Leverkühn, beide 75jährig, das Zeitliche, – der Vater und Vorsteher von Adrians langjährigem oberbayrischem Gast-Haushalt und sein eigener Vater droben auf Hof Buchel. Das mütterliche Telegramm, das ihm das sanfte Verscheiden des »Spekulierers« meldete, traf ihn an der Bahre des ebenfalls still-gedankenvollen Schmauchers mit anderem Dialekt, der die Last der Wirtschaft längst mehr und mehr dem Erbsohne Gereon überlassen hatte, wie jener sie seinem Georg mochte überlassen haben und ihm nun endgültig abgetreten hatte. Adrian konnte sicher sein, daß Elsbeth Leverkühn diesen Hingang mit der gleichen stillen Gefaßtheit, demselben verständigen Willigen ins Menschliche hinnahm, wie Mutter Schweigestill. An eine Fahrt ins Sächsisch-Thüringische zum Begräbnis war bei seinem damaligen Zustand nicht zu denken. Aber obgleich er an dem Sonntage fieberte und sich sehr schwach fühlte, bestand er, gegen die Abmahnung des Doktors, darauf, an der aus der ganzen Umgegend stark besuchten Bestattungsfeier für {660} seinen Wirt in der Dorfkirche von Pfeiffering teilzunehmen. Auch ich erwies dem Verblichenen die letzte Ehre, mit dem Gefühl, sie zugleich jenem anderen zu erweisen, und zu Fuß kehrten wir mit einander nach Haus Schweigestill zurück, eigentümlich berührt von der doch so wenig wunderbaren Wahrnehmung, daß trotz dem Verschwinden des Alten das knastrige Arom seiner Pfeife, aus der offenstehenden Wohnstube hervordringend, aber auch wohl die Wände des Ganges tief imprägnierend, nach wie vor die Atmosphäre schwängerte.
»Das hält vor«, sagte Adrian. »Eine ganze Weile; vielleicht so lange das Haus steht. Es hält auch in Buchel vor. Die Weile unseres Vorhaltens nachher, ein bißchen kürzer, ein bißchen länger, nennt man Unsterblichkeit.«
Es war nach Weihnachten, – das Fest hatten beide Väter, halb abgewandt schon, halb schon entfremdet dem Irdischen, noch mit den Ihren verbracht. Wie nun das Licht wuchs, schon in der Frühe des neuen Jahres, besserte sich zusehends Adrians Befinden, die Serie niederhaltender Krankheitsquälereien riß ab, seelisch schien er das Scheitern seiner Lebenspläne und was an erschütternder Einbuße damit verbunden gewesen war, überkommen zu haben, sein Geist erstand, – er mochte nun Mühe haben, seine Besonnenheit im Sturm andringender Ideen zu wahren, und dieses Jahr 1927 wurde das Jahr des kammermusikalischen Hoch- und Wunderertrages: zuerst der Ensemblemusik für drei Streicher, drei Holzbläser und Klavier, eines, ich möchte sagen, schweifenden Stückes, mit sehr langen, phantasierenden Themen, die vielfältig verarbeitet und aufgelöst werden, ohne je offen wiederzukehren. Wie liebe ich die stürmisch vorwärts drängende Sehnsucht, die seinen Charakter ausmacht, das Romantische seines Tons! – da es doch mit den strengsten modernen Mitteln gearbeitet ist – thematisch zwar, aber mit so starken Abwandlungen, daß es eigentliche »Reprisen« nicht gibt. Ausdrücklich »Phantasie« heißt der erste {661} Satz, der zweite ist ein in mächtiger Steigerung sich erhebendes Adagio, der dritte ein Finale, das leicht, fast spielerisch einsetzt, sich kontrapunktisch zunehmend verdichtet und zugleich immer mehr den Charakter tragischen Ernstes annimmt, bis es in einem düsteren, trauermarschähnlichen Epilog sich endigt. Nie ist das Klavier harmonisches Füllinstrument, sein Part ist solistisch wie in einem Klavierkonzert – darin wirkt wohl der Violinkonzertstil nach. Was ich vielleicht am tiefsten bewundere, ist die Meisterschaft, mit der das Problem der Klangkombination gelöst ist. Nirgends decken die Bläser die Streicher, sondern sparen diesen stets Klangraum aus und alternieren mit ihnen, nur an ganz wenigen Stellen sind Streicher und Bläser zum Tutti vereinigt. Und wenn ich den Eindruck zusammenfassen soll: Es ist, als würde man von einem festen und vertrauten
Weitere Kostenlose Bücher