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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Zu Zeiten, wo er es hätte tun mögen, behorchte er sein Instrument oder blätterte in seinen Noten. Den Schluß der Darbietungen, nun ja, bildete das Meistersinger-Vorspiel, breit und lustig gespielt, und der ohnedies laut prasselnde Beifall hob sich noch merklich, als Ferdinand Edschmidt das Orchester aufstehen ließ und seinem Konzertmeister dankend die Hand reichte. Ich war, als dieser Akt sich abspielte, schon oben im Mittelgang, besorgt um meine Garderobe, die ich mir bei noch geringem Zudrang zu den Verwahrungsstätten ausfolgen ließ. Meine Absicht war, wenigstens einen Teil meines Heimweges, das heißt des Weges zu meinem Schwabinger Absteigequartier, zu Fuß zurückzulegen. Vor dem Konzertgebäude traf ich mit einem Herrn des {648} Kridwiß-Kreises, Professor Gilgen Holzschuher, dem Dürer-Mann, zusammen, der auch im Saal gewesen war. Er verwickelte mich in ein Gespräch, das von seiner Seite mit einer Kritik des Programms von heute abend begann: Diese Zusammenstellung von Berlioz und Wagner, von welschem Virtuosen- und deutschem Meistertum sei eine Geschmacklosigkeit, die überdies nur schlecht eine politische Tendenz verberge. Allzu sehr sehe sie nach deutsch-französischer Verständigung und Pazifismus aus, wie denn dieser Edschmidt als Republikaner und als national unzuverlässig bekannt sei. Der Gedanke habe ihn den ganzen Abend gestört. Leider sei eben heute alles Politik, es gebe keine geistige Reinheit mehr. Um diese wiederherzustellen, müßten vor allem einmal an der Spitze großer Orchester Männer von unzweifelhaft deutscher Gesinnung stehen.
    Ich sagte ihm nicht, daß ja er es sei, der die Dinge politisiere, und daß das Wort »deutsch« heute keineswegs gleichsinnig mit geistiger Reinheit, sondern eine Partei-Parole sei. Ich machte nur geltend, daß eine gute Menge Virtuosentums, welsch oder nicht, doch auch in Wagners international so wohlgelittener Kunst einschlägig sei – und lenkte ihn dann wohltätig ab, indem ich auf einen Artikel über Proportionsprobleme der gotischen Architektur zu sprechen kam, den er kürzlich in der Zeitschrift »Kunst und Künstler« veröffentlicht hatte. Die Höflichkeiten, die ich ihm darüber sagte, machten ihn ganz glücklich, weich, unpolitisch und heiter, und ich benutzte diesen seinen gebesserten Zustand, um mich von ihm zu trennen und meinen Weg nach rechts einzuschlagen, während er links ging.
    Bald hatte ich, von der oberen Türkenstraße her die Ludwigstraße erreicht und verfolgte die stille Monumental-Chaussee (seit Jahren freilich durchaus asphaltiert) auf ihrer linken Seite gegen das Siegestor. Der Abend war bedeckt und sehr mild, mein Wintermantel drückte mich auf die Dauer ein wenig, und {649} an der Trambahn-Haltestelle Theresienstraße blieb ich stehen, um einen Wagen irgendeiner der nach Schwabing führenden Linien zu erwarten. Ich weiß nicht, weshalb es ungewöhnlich lange dauerte, bis einer kam. Stockungen, Verzögerungen im Verkehr kommen ja vor. Es war ein Wagen der Linie 10, mir ganz genehm, der sich endlich näherte. Noch sehe und höre ich ihn von der Feldherrnhalle her herankommen. Diese bayrisch-blauen Münchener Trambahnwagen sind ja sehr schwer gebaut und machen, liege es nun eben an dieser Schwere oder an besonderen Eigenschaften des Untergrundes, einen erheblichen Lärm. Elektrisches Feuer zuckte beständig unter den Rädern des Gefährtes und noch stärker oben an der Kontaktstange, von wo diese kalten Flammen zischend in ganzen Funkenschwärmen zerstoben.
    Der Wagen hielt, und ich begab mich von der vorderen Plattform, wo ich einstieg, ins Innere. Gleich bei der Schiebetür, links von meinem Eintritt, fand ich einen freien Platz, den offenbar ein Aussteigender eben verlassen. Die Tram war voll besetzt. Es standen sogar bei der hinteren Tür zwei Herren im Gange und hielten sich an Riemen. Den Großteil der Fahrgäste mochten heimkehrende Konzertbesucher bilden. Unter ihnen, inmitten der Bank mir gegenüber, saß Schwerdtfeger, seinen Geigenkasten aufgestellt zwischen den Knien. Gewiß hatte er mich hereinkommen sehen, mied aber meinen Blick. Unterm Mantel trug er ein weißes Cache-nez, das seine Frackschleife bedeckte, war aber nach seiner Gewohnheit ohne Hut. Er sah hübsch und jung aus mit seinem lockig aufstrebenden Blondhaar, die Gesichtsfarbe erhöht von getaner Arbeit, dergestalt, daß in dieser ehrenwerten Erhitzung die blauen Augen sogar ein wenig verschwollen wirkten. Auch das aber kleidete ihn, so gut wie die

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