Doktor Faustus
geschrieben nicht einmal in dem klaren Bewußtsein, daß, nach seiner Werbung für Adrian, die Liebeserklärung mit dem Ehe-Antrag verbunden blieb, auf den sein Flirt-Kopf von selbst nie verfallen wäre. Den Brief las Tante Isabeau Marien vor, die ihn nicht hatte annehmen wollen. Rudolf erhielt keine Antwort darauf. Als er sich aber, nur zwei Tage später, durch das Zimmermädchen der Pension Gisella bei der Tante melden ließ, wurde er nicht abgewiesen. Marie war in der Stadt. Sie habe, verriet ihm die alte Dame mit schalkhaftem Vorwurf, nach seinem vorigen Besuch an ihrem Busen ein Tränchen vergossen. Was meiner Meinung nach erfunden war. Die Tante selbst betonte den Stolz ihrer Nichte. Sie sei ein tief empfindendes, aber stolzes Mädchen. Bestimmte Hoffnung auf die Gelegenheit zu einer neuen Unterredung könne sie ihm nicht machen. Aber soviel möge er wissen, daß sie es sich nicht verdrießen lasse, Marien die Ehrenhaftigkeit seiner Handlungsweise vor Augen zu führen.
Nach abermals zwei Tagen war er wieder da. Mme. Ferblantier – dies der Name der Tante, sie war eine Witwe – begab sich zu ihrer Nichte hinein. Sie blieb dort geraume Zeit, doch endlich kam sie wieder und gewährte ihm mit einem ermutigenden Blinzeln den Eintritt. Natürlich trug er Blumen.
{646} Was soll ich weiter sagen? Ich bin zu alt und zu traurig, um eine Szene auszumalen, an deren Einzelheiten auch niemandem gelegen sein kann. Rudolf brachte Adrians Werbung vor – für sich selbst diesmal, obgleich der Flatterer zum Ehestande taugte, wie ich zum Don Juan. Aber es ist müßig, sich über die Zukunft, die Glücksaussichten einer Verbindung Gedanken zu machen, der keine Zukunft bestimmt war, sondern die von einem gewalttätigen Schicksal rasch zunichte gemacht werden sollte. Marie wagte den Herzensbrecher mit dem »kleinen Ton« zu lieben, über dessen Künstlerwert und sichere Laufbahn ihr von ernster Seite so warme Bürgschaften waren gegeben worden. Sie traute sich zu, ihn halten, ihn binden, den Wildfang domestizieren zu können, sie ließ ihm ihre Hände, sie nahm seinen Kuß, und es dauerte keine vierundzwanzig Stunden, bis unseren ganzen Bekanntenkreis die heitere Nachricht durchlaufen hatte, daß Rudi gefangen war, daß Konzertmeister Schwerdtfeger und Marie Godeau Brautleute seien. Ergänzend hieß es, er wolle seinen Vertrag mit dem Zapfenstößer-Orchester lösen, in Paris heiraten und dort seine Dienste einer neuen, eben sich konstituierenden musikalischen Körperschaft, dem »Orchestre Symphonique«, zur Verfügung stellen.
Zweifellos war er dort willkommen, und ebenso zweifellos gingen die Ablösungsverhandlungen in München, wo man ihn ungern ziehen ließ, nur langsam voran. Immerhin faßte man seine Mitwirkung beim nächsten Zapfenstößer-Konzert – es war das erste nach demjenigen, zu dem er im letzten Augenblick von Pfeiffering zurückgekehrt war – als eine Art von Abschiedsvorstellung auf. Und da überdies der Dirigent, Dr. Edschmidt, gerade für diesen Abend ein besonders hausfüllendes Berlioz-Wagner-Programm gewählt hatte, so war, wie man so sagt, ganz München da. Zahlreiche bekannte Gesichter blickten aus den Reihen, und wenn ich aufstand, so hatte ich vielfach zu grüßen: die Schlaginhaufens und Habitués ihrer {647} Empfänge, die Radbruchs mit Schildknapp, Jeanette Scheurl, die Zwitscher, die Binder-Majoresku und andere mehr, die alle gewiß nicht zuletzt mit dem Wunsche gekommen waren, Rudi Schwerdtfeger, links vorn an seinem Pult, als Bräutigam zu sehen. Übrigens war seine Verlobte nicht anwesend – schon nach Paris zurückgekehrt, wie man hörte. Ich machte Ines Institoris meine Verbeugung. Sie war allein, das heißt: in Gesellschaft der Knöterichs, ohne ihren Mann, der unmusikalisch war und den Abend in der »Allotria« verbringen mochte. Sie saß ziemlich weit zurück im Saal, in einem Kleide, dessen Einfachheit der Dürftigkeit nicht fern war, – das Hälschen schräg vorgeschoben, mit erhobenen Augenbrauen, das Mündchen in fataler Schalkhaftigkeit gespitzt, und ich konnte mich, als sie so meinen Gruß erwiderte, des ärgerlichen Eindrucks nicht erwehren, als lächelte sie immer noch in boshaftem Triumph darüber, daß sie bei jenem langen abendlichen Gespräch in ihrem Wohnzimmer meine Geduld und Teilnahme so trefflich ausgebeutet hatte.
Was Schwerdtfeger betraf, so blickte er, wohl wissend, wievielen neugierigen Augen er begegnen würde, während des ganzen Abends kaum in den Saal.
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