Doktor Faustus
Abtsstube
Hand in Hand
sitzen sehen, schweigend und wie geborgen. Dies Hand in Hand sah ihm nicht {657} gleich, es war eine Veränderung, die ich mit Rührung, sogar mit Freude, aber auch nicht ganz ohne Ängstlichkeit wahrnahm.
Mehr als je liebte er es zu jener Zeit auch, Rüdiger Schildknapp, den Gleichäugigen, um sich zu haben. Zwar kargte der mit sich nach alter Art; wenn er aber, ein abgerissener Gentleman, sich einfand, so war er bereit zu den weiten Gängen über Land, die Adrian liebte, besonders wenn er nicht arbeiten konnte, und die Rüdiger ihm mit bitterlicher und grotesker Komik würzte. Arm wie eine Kirchenmaus, hatte er damals viel mit seinen vernachlässigten und verfallenden Zähnen zu tun und erzählte von nichts als treulosen Zahnärzten, die sich den Anschein gegeben hatten, ihn aus Freundschaft zu behandeln, dann aber plötzlich unerschwingliche Forderungen stellten, von Abzahlungssystemen, versäumten Terminen, nach denen er gezwungen gewesen war, wieder einen anderen Helfer, wohl wissend, daß er ihn nie werde befriedigen können und wollen, in Anspruch zu nehmen und dergleichen mehr. Man hatte ihm unter Qualen eine umfangreiche Brücke auf verbleibende schmerzende Wurzeln gepreßt, die binnen kurzem unter der Last zu wanken begannen, so daß die makabre Auflösung des Kunstbaues, deren Folge die Kontrahierung neuer, nie zu begleichender Schulden sein würde, sich ankündigte. »Es – bricht – zusammen«, verkündete er schaurig, hatte aber nicht nur nichts dagegen, wenn Adrian Tränen lachte über all dies Elend, sondern schien es eben hierauf abgesehen zu haben und bog sich selber vor boyischem Lachen.
Seine galgenhumoristische Gesellschaft war dem Einsamen damals gerade recht, und ich, leider unbegabt, ihm das Komische zu bieten, tat das Meine, ihm diese Gesellschaft zu verschaffen, indem ich den meistens widerspenstigen Rüdiger zu Besuchen in Pfeiffering ermunterte. Adrians Leben war nämlich während dieses ganzen Jahres leer von Arbeit: Ideenlosigkeit, Reglosigkeit des Geistes hatten ihn, äußerst quälend, {658} demütigend und ängstigend für ihn, wie aus seinen Briefen an mich hervorging, befallen und bildeten, wie er mir wenigstens erklärte, einen Hauptgrund für seine Absage nach Frankfurt. Unmöglich sei es, sich mit Getanem abzugeben im Zustande der Unfähigkeit, ein Besseres zu tun. Die Vergangenheit sei nur erträglich, wenn man sich ihr überlegen fühle, statt sie im Bewußtsein gegenwärtiger Ohnmacht blöde bestaunen zu müssen. »Öde, fast blöde«, nannte er in Briefen, die er an mich nach Freising richtete, seine Verfassung, eine »Hundeexistenz«, ein »erinnerungsloses Pflanzendasein von unerträglicher Idyllik«, dessen Beschimpfung die einzige, klägliche Ehrenrettung sei, und das ihn dahin bringen könnte, neuen Krieg, Revolution oder dergleichen äußeren Lärm zu erwünschen, um nur dem Stumpfsinn entrissen zu werden. Vom Komponieren habe er buchstäblich nicht die geringste Vorstellung mehr, nicht mehr die schwächste Erinnerung, wie man das mache, und glaube zuversichtlich, daß er nie mehr eine Note aufschreiben werde. »Möge die Hölle sich meiner erbarmen«, »Bete für meine arme Seele!« – solche Wendungen wiederholten sich in diesen Dokumenten, die, mit wieviel Betrübnis sie mich erfüllten, mich doch auch wieder erhoben, da ich mir sagte, daß nun doch einmal nur ich, der Jugendgespiel, und sonst niemand in der Welt, den Empfänger solcher Bekenntnisse abgeben konnte.
In meinen Antworten suchte ich ihn zu trösten mit dem Hinweis, wie schwer es dem Menschen falle, über seinen gegenwärtigen Zustand hinauszudenken, den er immer, gefühlsmäßig, wenn auch gegen die Vernunft, als sein bleibendes Los anzusehen geneigt sei, unfähig, sozusagen, um die nächste Ecke zu sehen, – was vielleicht noch mehr für arge als für glückliche Zustände gelte. Seine Abspannung sei nur zu erklärlich durch die grausamen Enttäuschungen, die er jüngst erlitten. Und ich war schwach und »poetisch« genug, die Brache seines Geistes mit der »winterlich ruhenden Erde« zu verglei {659} chen, in deren Schoß das Leben, neues Sprießen vorbereitend, sich heimlich fortrege, – ein, wie ich selber fühlte, unerlaubt gutmütiges Bild, das schlecht auf den Extremismus seines Daseins, den Wechsel von schöpferischer Entfesselung und abbüßender Lähmung paßte, dem er unterworfen war. Auch ging ja ein neues Tief seiner Gesundheit, mehr als Begleitung, denn
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