Doktor Faustus
Referent, »die, gleichsam abseits der Zeit und des eigenen großen Ganges darin, eine kleine Sondergeschichte dieser Art zu entwickeln und auf verschollenem Nebenwege zu so eigentümlichen Beseligungen zu führen vermag!« –
Ich weiß es, als wäre es gestern gewesen, wie ich mit Adrian aus diesem Vortrag nach Hause ging. Obgleich wir nicht viel mit einander redeten, mochten wir uns lange nicht trennen, und von seines Onkels Hause, wohin ich ihn begleitet, gab er mir zur Apotheke das Geleit, worauf wieder ich in die Parochialstraße mit ihm ging. So machten wir es übrigens öfters. Beide erheiterten wir uns über den Mann Beißel, diesen Winkel-Diktator in seiner belustigenden Tatkraft, und kamen überein, daß seine Musik-Reform stark an die Stelle bei Terenz erinnere, wo es heißt: »Mit Vernunft albern zu handeln.« Aber Adrians Verhalten zu der kuriosen Erscheinung unterschied sich von meinem doch auf so kennzeichnende Art, daß sie mich bald mehr beschäftigte, als der Gegenstand selbst. Anders nämlich als ich, hielt er darauf, sich im Spott die Freiheit zur Anerkennung zu salvieren, – auf das Recht, um nicht zu sagen: das
Vorrecht
also, einen Abstand zu wahren, der die Möglichkeit wohlwollenden Geltenlassens, bedingter Zustimmung, halber Bewunderung zusammen mit der Moquerie, dem Gelächter in sich schließt. Ganz allgemein ist mir dieser Anspruch auf ironische Distanzierung, auf eine Objektivität, der es sicherlich weniger um die Ehre der Sache, als um die der freien Person zu tun ist, immer als ein Zeichen ungemeinen Hochmuts erschienen. Bei einem so jungen Menschen wie Adrian es damals war, hat, das wird man mir zugeben, diese Haltung etwas Ängstigendes und Vermessenes und ist danach angetan, Sorge um {104} sein Seelenheil einzuflößen. Freilich ist sie auch wieder sehr eindrucksvoll für den Kameraden von schlichterer Geistesform, und da ich ihn liebte, liebte ich seinen Hochmut mit – vielleicht liebte ich ihn um seinetwillen. Ja, es wird schon so sein, daß diese Hoffart das Hauptmotiv der erschrockenen Liebe war, die ich Zeit meines Lebens für ihn im Herzen hegte.
»Laß mir«, sagte er, während wir, die Hände in unseren Manteltaschen, im Winternebel, der die Gaslaternen umspann, zwischen unseren Wohnungen hin und wider gingen, »laß mir den Kauz in Frieden, ich habe was für ihn übrig. Wenigstens hatte er Ordnungssinn, und sogar eine alberne Ordnung ist immer noch besser als gar keine.«
»Du willst nicht im Ernst«, antwortete ich, »ein so absurdes Ordnungsdiktat, einen so kindischen Rationalismus in Schutz nehmen, wie die Erfindung der Herren und Diener. Stelle dir vor, wie diese Beißel-Hymnen geklungen haben, in denen auf jede betonte Sylbe ein Ton des Dreiklangs fallen mußte!«
»Jedenfalls nicht sentimental«, erwiderte er, »sondern streng gesetzmäßig, und das lob' ich mir. Tröste dich damit, daß ja der Phantasie, die du natürlich hoch über das Gesetz stellst, reichlicher Spielraum blieb bei freier Benutzung der ›Dienertöne‹.«
Er mußte lachen über das Wort, beugte sich vor im Gehen und lachte auf das feuchte Trottoir hinab.
»Komisch, sehr komisch ist es«, sagte er. »Aber eines wirst du mir zugeben: Das Gesetz, jedes Gesetz, wirkt erkältend, und die Musik hat soviel Eigenwärme, Stallwärme, Kuhwärme, möchte ich sagen, daß sie allerlei gesetzliche Abkühlung brauchen kann – und auch selber immer danach verlangt hat.«
»Daran mag etwas Wahres sein«, gab ich zu. »Aber unser Beißel gibt am Ende kein schlagendes Beispiel dafür ab. Du vergißt, daß sein ganz ungeregelter und dem Gefühl überlassener Rhythmus der Strenge seiner Melodie mindestens die Waage hielt. Und dann erfand er sich einen Gesangsstil – zur {105} Decke hinauf und in seraphischem Falsett von dort herabschwebend –, der höchst berückend gewesen sein muß und gewiß der Musik alle ›Kuhwärme‹ zurückgab, die er ihr vorher durch pedantische Abkühlung genommen.«
»Durch asketische, würde Kretzschmar sagen«, erwiderte er, »durch asketische Abkühlung. Darin war Vater Beißel sehr echt. Die Musik tut immer im voraus geistige Buße für ihre Versinnlichung. Die alten Niederländer haben ihr zu Gottes Ehren die vertracktesten Kunststücke auferlegt, und es ging hart auf hart dabei her nach allem, was man hört, höchst unsinnlich und rein rechnerisch ausgeklügelt. Aber dann haben sie diese Bußübungen
singen
lassen, sie dem tönenden Atem der Menschenstimme
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