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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Klausner ein völlig einsames, karges und nur auf Gott bedachtes Leben zu führen. Wie es nun aber geht, daß gerade Menschenflucht wohl den Flüchtling ins Menschliche verflicht, so hatte er sich bald von einer Schar bewundernder Gefolgsleute und Nachahmer seiner Absonderung umgeben gesehen, und, statt der Welt ledig zu werden, war er unversehens und im Handumdrehen zum Haupt einer Gemeinde geworden, die sich rasch zu einer selbständigen Sekte, der »Wiedertäufer des Siebenten Tages«, entwickelt hatte, und der er umso bedingungsloser gebot, als er seines Wissens Führerschaft niemals angestrebt hatte, sondern wider Wunsch und Absicht dazu berufen worden war.
    Nie hatte Beißel eine nennenswerte Bildung genossen, aber des Lesens und Schreibens hatte der Erweckte sich im Selbstunterricht mächtig gemacht, und da sein Gemüt von mystischen Gefühlen und Ideen wogte, so geschah es, daß er hauptsächlich als Schriftsteller und Dichter sein Führeramt ausübte und die Seelen der Seinen speiste: ein Strom didaktischer Prosa und geistlicher Lieder ergoß sich aus seiner Feder zur Erbauung {99} der Brüder und Schwestern in stillen Stunden und zur Bereicherung ihres Gottesdienstes. Sein Stil war verstiegen und kryptisch, beladen mit Metaphern, dunklen Anspielungen auf Stellen der Schrift und einer Art von erotischem Symbolismus. Ein Traktat über den Sabbath, »Mystyrion Anomalias« und eine Sammlung von 99 »Mystischen und sehr geheymen Sprüchen« machten den Anfang. Auf dem Fuße folgten ihnen eine Reihe von Hymnen, die nach bekannten europäischen Choralmelodien zu singen waren und unter solchen Titeln wie »Göttliche Liebes- und Lobesgethöne«, »Jacobs Kampf- und Ritterplatz« und »Zionistischer Weyrauchhügel« im Druck erschienen. Es waren dies kleinere Sammlungen, die einige Jahre später, vermehrt und verbessert, zu dem offiziellen Gesangsbuch der Täufer des Siebenten Tages von Ephrata unter dem süß-traurigen Titel »Das Gesäng der einsamen und verlassenen Turtel-Taube, nemlich der Christlichen Kirche« zusammengefaßt wurden. Gedruckt und wiedergedruckt, bereichert durch mitentzündete Glieder der Sekte, einsame sowohl wie vermählte, Männer und noch mehr Frauen, wechselte das Standard-Werk den Titel und hieß auch wohl einmal »Paradisisches Wunderspiel«. Es umfaßte schließlich nicht weniger als 770 Hymnen, darunter solche von gewaltiger Strophenzahl.
    Die Lieder waren bestimmt, gesungen zu werden, ermangelten aber der Noten. Es waren neue Texte zu alten Melodien, und so wurden sie jahrelang von der Gemeinde benutzt. Da kam eine neue Eingebung und Heimsuchung über Johann Conrad Beißel. Der Geist nötigte ihn, zu der Rolle des Dichters und Propheten diejenige des Komponisten an sich zu reißen.
    Seit kurzem gab es einen jungen Adepten der Tonkunst zu Ephrata, Herr Ludwig geheißen, der Singschule hielt, und Beißel liebte es, seinem musikalischen Unterricht als Zuhörer beizuwohnen. Er mußte dabei die Entdeckung gemacht haben, daß die Musik zur Ausdehnung und Erfüllung des geistlichen {100} Reiches Möglichkeiten bot, von denen der junge Herr Ludwig sich wenig träumen ließ. Der Beschluß des sonderbaren Mannes war rasch gefaßt. Nicht mehr der Jüngste, schon hoch in den Fünfzigern, machte er sich daran, eine eigene, für seine besonderen Zwecke brauchbare Musik-Theorie auszuarbeiten, stellte den Singlehrer kalt und nahm selbst die Sache in feste Hand – mit solchem Erfolg, daß er binnen kurzem die Musik zum wichtigsten Element im religiösen Leben der Siedelung machte.
    Die Mehrzahl der aus Europa überkommenen Choral-Melodien war ihm recht sehr gezwungen, allzu verwickelt und künstlich erschienen, um recht für seine Schäfchen zu taugen. Er wollte es neu und besser machen und eine Musik ins Werk setzen, die der Einfachheit ihrer Seelen besser entsprach und sie instand setzen würde, es bei ihrer ausübenden Leistung zu einer eigenen, schlichten Vollendung zu bringen. Eine sinnvolle und nutzbare Melodie-Lehre war mit kühner Raschheit beschlossen. Er dekretierte, daß »Herren« und »Diener« sein sollten in jeder Tonleiter. Indem er den Dreiklang als das melodische Zentrum jeder gegebenen Tonart anzusehen beschloß, ernannte er die zu diesem Akkord gehörigen Töne zu Meistern, die übrigen Töne der Leiter aber zu Dienern. Die Sylben eines Textes nun, auf denen der Akzent lag, hatten jeweils durch einen Meister, die unbetonten durch einen Diener dargestellt zu werden.
    Die Harmonie

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