Doktor Faustus
halb scherzhaft, zugleich aber viel überzeugender ausnahm, als wenn er auf neudeutsch »Hölle« gesagt hätte –, so hatte man keineswegs den Eindruck, daß er symbolisch redete, vielmehr entschieden den, daß es »gut alt-deutsch, ohn' alle Bemäntelung und Gleißnerei« gemeint war. Nicht anders war es mit dem Widersacher selbst. Ich sagte ja, daß Kumpf als Gelehrter, als Mann der Wissenschaft, der rationalen Kritik am Bibelglauben Zugeständnisse machte und, wenigstens anfallsweise, im Ton intellektueller Biederkeit, manches »preisgab«. Im Grunde aber sah er den Lügner, den bösen Feind gerade in der Vernunft vorzüglich am Werke und ließ sie selten zu Worte kommen, ohne hinzuzufügen: »Si Diabolus non esset mendax et homicida!« Ungern nannte er den Schädling geradeaus bei Namen, {145} sondern umschrieb und verdarb diesen auf volkstümliche Art mit »Teubel«, »Teixel« oder »Deixel«. Aber gerade dieses halb scheue, halb spaßhafte Vermeiden und Verändern hatte etwas von gehässiger Realitäts-Anerkennung. Außerdem verfügte er über eine Menge kerniger und ausgefallener Bezeichnungen für ihn, wie »St. Velten«, »Meister Klepperlin«, »Der Herr Dicis-et-non-facis« und »Der schwartze Kesperlin«, die ebenfalls in jokoser Weise sein kräftig persönliches und animoses Verhältnis zu Gottes Gegner zum Ausdruck brachten.
Da Adrian und ich bei Kumpf Visite gemacht hatten, wurden wir ein und das andere Mal in seinen Familienkreis geladen und hatten Abendessen mit ihm, seiner Gemahlin und ihren beiden grell rotwangigen Töchtern, deren gewässerte Zöpfe so fest geflochten waren, daß sie ihnen schräge vom Kopfe abstanden. Eine von ihnen sprach den Segen, während wir uns diskret über unsere Teller neigten. Dann aber legte sich der Hausherr, unter vielseitigen Expektorationen, die Gott und Welt, Kirche, Politik, Universität und sogar Kunst und Theater betrafen, und mit denen er unverkennbar Luthers Tischreden nachahmte, gewaltig ins Zeug mit Essen und Trinken, zum Zeichen und guten Exempel, daß er gegen Weltfreude und gesunden Kulturgenuß nichts einzuwenden habe; ermahnte auch uns wiederholt, brav mitzuhalten und die Gottesgabe, die Hammelkeule, das Moselblümchen, nicht zu verschmähen und nahm nach verzehrter Süßspeise zu unserem Schrecken eine Guitarre von der Wand, um uns, vom Tische abgerückt, mit übergeschlagenem Bein, zum Schollern ihrer Saiten mit dröhnender Stimme Lieder zu singen wie »Das Wandern ist des Müllers Lust«, auch »Lützows wilde, verwegene Jagd«, die »Loreley« und »Gaudeamus igitur«. – »Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang« – es mußte kommen, und es kam. Er rief es aus, indem er vor unseren Augen seine runde Frau um die Mitte faßte. Und dann wies er {146} mit dem gepolsterten Zeigefinger in einen schattigen Winkel des Speisezimmers, wohin fast kein Strahl der über dem Eßtisch schwebenden Schirmlampe drang: »Seht!« rief er. »Da steht er im Eck, der Speivogel, der Wendenschimpf, der traurige, saure Geist und mag nicht leiden, daß unser Herz fröhlich sei in Gott bei Mahl und Sang! Soll uns aber nichts anhaben, der Kernbösewicht, mit seinen listigen, feurigen Pfeilen! Apage!« donnerte er, griff eine Semmel und schleuderte sie in den finsteren Winkel. Nach diesem Strauß griff er wieder in die Saiten und sang »Wer recht in Freuden wandern will«.
Dies alles war ja eher ein Schrecknis, und ich muß als sicher annehmen, daß auch Adrian es so empfand, obgleich sein Stolz ihm nicht erlaubte, seinen Lehrer preiszugeben. Immerhin hatte er nach jenem Teufelsgefecht auf der Straße einen Lachanfall, der sich nur langsam, unter ablenkenden Gesprächen beruhigte. –
XIII
Mit einigen Worten aber muß ich noch einer Lehrerfigur gedenken, die sich ihrer intrigierenden Zweideutigkeit wegen meinem Gedächtnis stärker eingeprägt hat, als alle anderen. Es war der Privat-Dozent Eberhard Schleppfuß, der damals zwei Semester lang zu Halle die venia legendi ausübte, um dann allerdings, ich weiß nicht, wohin, wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Schleppfuß war eine kaum mittelgroße, leibarme Erscheinung, gehüllt in einen schwarzen Umhang, dessen er sich statt eines Mantels bediente, und der am Halse mit einem Metallkettchen geschlossen war. Dazu trug er eine Art von Schlapphut mit seitlich gerollter Krempe, dessen Form sich dem Jesuitischen annäherte, und den er, wenn wir Studenten ihn auf der Straße
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