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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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»auf gut alt-deutsch, ohn' einige Bemäntelung und Gleißnerei«, das heißt deutlich und geradeaus, zu sagen und »fein deutsch mit der Sprache herauszugehen«. Statt »allmählich« sagte er »weylinger Weise«, statt »hoffentlich«: »verhoffentlicht« und sprach von der Bibel nicht anders als von der »Heiligen Geschrift«. Er sagte: »Es gehet mit Kräutern zu«, wenn er meinte »mit unrechten Dingen«. Von Einem, der seiner Meinung nach in wissenschaftlichen Irrtümern befangen war, sagte er: »Er wohnt in der Fehlhalde«; von einem lasterhaften Menschen: »Er lebt auf den alten Kaiser hin wie ein Viehe« und liebte sehr Sprüche wie: »Wer kegeln will, muß aufsetzen« oder: »Was zur Nessel werden soll, brennt bei Zeiten«. Ausrufe wie »Potz Blut!«, »Potz Strahl!«, »Potz hundert Gift!« oder auch »Potz Fickerment!« waren keine Seltenheit in seinem Munde, und dieses letzte rief regelmäßig Beifallsgetrampel hervor.
    Theologisch gesehen, war Kumpf ein Vertreter jenes Vermittlungs-Konservativismus mit kritisch-liberalen Einschlägen, von dem ich sprach. In seiner Jugend war er, wie er uns in seinen peripatetischen Extempore's erzählte, ein hellicht begeisterter Student unserer klassischen Dichtung und Philosophie gewesen und rühmte sich, alle »wichtigeren« Werke Schil {143} lers und Goethes auswendig gewußt zu haben. Dann aber war etwas über ihn gekommen, was mit der Erweckungsbewegung der Mitte des vorigen Jahrhunderts zusammenhing, und die Paulinische Botschaft von Sünde und Rechtfertigung hatte ihn dem ästhetischen Humanismus abwendig gemacht. Man muß zum Theologen geboren sein, um solche geistigen Schicksale und Damaskus-Erlebnisse recht würdigen zu können. Kumpf hatte sich überzeugt, daß auch unser Denken gebrochen ist und der Rechtfertigung bedarf, und eben hierauf beruhte sein Liberalismus, denn es führte ihn dazu, im Dogmatismus die intellektuelle Form des Pharisäertums zu sehen. Er war also zur Kritik am Dogma auf gerade entgegengesetztem Wege gekommen, wie einst Descartes, dem im Gegenteil die Selbstgewißheit des Bewußtseins, des cogitare, rechtmäßiger erschienen war als alle scholastische Autorität. Das ist der Unterschied zwischen theologischen und philosophischen Befreiungen. Kumpf hatte die seine in Fröhlichkeit und gesundem Gottvertrauen vollzogen und reproduzierte sie vor uns Hörern »mit deutschen Worten«. Nicht nur anti-pharisäisch, anti-dogmatisch war er, sondern auch anti-metaphysisch, durchaus ethisch und erkenntnistheoretisch gerichtet, ein Verkünder des sittlich fundierten Persönlichkeitsideals und kräftig abhold der pietistischen Trennung von Welt und Frömmigkeit, vielmehr weltfromm, zu gesundem Genuß erbötig, ein Bejaher der Kultur, – besonders der deutschen, denn bei jeder Gelegenheit entpuppte er sich als ein massiver Nationalist lutherischer Prägung und konnte einem Manne nichts Grimmigeres nachsagen, als daß er »wie ein windiger Wal«, d. h. wie ein Welscher denke und lehre. Im Zorn und mit rotem Kopf fügte er dann wohl hinzu: »Daß ihn der Teufel bescheiße, Amen!«, was wiederum mit großem Getrampel bedankt wurde.
    Sein Liberalismus nämlich, der ja nicht in dem humanistischen Zweifel am Dogma, sondern in dem religiösen Zweifel an {144} der Vertrauenswürdigkeit unseres Denkens gründete, hinderte ihn nicht nur nicht an einem strammen Offenbarungsglauben, sondern auch daran nicht, mit dem Teufel auf sehr vertrautem, wenn auch natürlich gespanntem, Fuße zu stehen. Ich kann und will nicht untersuchen, wieweit er an die persönliche Existenz des Widersachers glaubte, sage mir aber, daß, wo überhaupt Theologie ist – und nun gar, wenn sie sich mit einer so saftigen Natur, wie der Ehrenfried Kumpfs, verbindet – auch der Teufel zum Bilde gehört und seine komplementäre Realität zu derjenigen Gottes behauptet. Man hat leicht sagen, daß ein moderner Theolog ihn »symbolisch« nehme. Nach meiner Meinung kann Theologie überhaupt nicht modern sein, was man ihr als großen Vorzug anrechnen mag; und was die Symbolik betrifft, so sehe ich nicht ein, warum man die Hölle symbolischer nehmen sollte, als den Himmel. Das Volk hat das jedenfalls niemals getan. Ihm stand sogar immer die drastische, obszön humoristische Figur des Teufels näher, als die obere Majestät; und Kumpf war in seiner Art ein Volksmann. Wenn er von der »Hellen und ihrer Spelunck« sprach, was er gern tat – in dieser archaisierenden Form, in der es sich zwar

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