Doktor Faustus
prozessiert und eingeäschert worden, die volle sechs Jahre Kundschaft mit einem Incubus gehabt hatte, sogar an der Seite ihres schlafenden Mannes, dreimal die Woche, vorzüglich aber zu heiligen Zeiten. Sie hatte dem Teufel dergestalt Promeß gemacht, daß sie nach sieben Jahren ihm mit Leib und Seele anheimgefallen wäre. Sie hatte aber Stern gehabt, denn noch gerade vor Ablauf der Frist ließ Gott in seiner Liebe sie in die Hände der Inquisition fallen, und schon unter leichten Graden der Befragung legte sie ein volles und ergreifend reuiges Geständnis ab, so daß sie höchstwahrscheinlich von Gott Verzeihung erlangte. Gar willig nämlich ging sie in den Tod, unter der ausdrücklichen Erklärung, daß, wenn sie auch loskommen könnte, sie doch ganz entschieden den Brandpfahl vorzöge, um nur der Macht des Dämons zu entgehen. So sehr war ihr das Leben durch die Unterworfenheit unter schmutzige Sünde zum Ekel geworden. Welche schöne Geschlossenheit der Kultur aber sprach aus diesem harmonischen Einvernehmen zwischen dem Richter und dem Delinquenten und welche warme Humanität aus der Genugtuung darüber, diese Seele noch im letzten Augenblick {152} durch das Feuer dem Teufel entrissen und ihr die Verzeihung Gottes verschafft zu haben!
Dies führte Schleppfuß uns zu Gemüte und ließ uns bemerken – nicht nur, was Humanität
auch
sein könne, sondern was sie
eigentlich
sei. Ganz zwecklos wäre es gewesen, hier ein anderes Wort aus dem Vokabular des freien Geistes zu gebrauchen und von trostlosem
Aberglauben
zu sprechen. Schleppfuß verfügte auch über dieses Wort, im Namen der »klassischen« Jahrhunderte, denen es nichts weniger als unbekannt gewesen war. Ungereimtem Aberglauben war jenes Weib mit dem Incubus unterlegen und sonst niemand. Denn sie war abgefallen von Gott, abgefallen vom Glauben, und das war Aberglaube. Aberglaube hieß nicht: an Dämonen und Incubi glauben, sondern es hieß, pestbringenderweise sich mit ihnen einlassen und von ihnen erwarten, was nur von Gott zu erwarten ist. Aberglauben bedeutete Leichtgläubigkeit für die Einflüsterungen und Anstiftungen des Feindes des menschlichen Geschlechtes; der Begriff deckte alle Invokationen, Lieder und Beschwörungen, alle zauberischen Übertretungen, Laster und Verbrechen, das Flagellum haereticorum fascinariorum, die illusiones daemonum. So konnte man den Begriff »Aberglauben« bestimmen, so war er bestimmt worden, und es war doch interessant, wie der Mensch die Worte benutzen und wie er damit denken kann!
Natürlich spielte die dialektische Verbundenheit des Bösen mit dem Heiligen und Guten eine bedeutende Rolle in der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes angesichts des Vorhandenseins des Bösen in der Welt, die in Schleppfußens Kolleg einen breiten Raum einnahm. Das Böse trug bei zur Vollkommenheit des Universums, und ohne jenes wäre dieses nicht vollkommen gewesen, darum ließ Gott es zu, denn er war vollkommen und mußte darum das Vollkommene wollen, – nicht im Sinne des vollkommen Guten, sondern im Sinne der {153} Allseitigkeit und der wechselseitigen Existenzverstärkung. Das Böse war weit böser, wenn es das Gute, das Gute weit schöner, wenn es das Böse gab, ja, vielleicht – man konnte darüber streiten – wäre das Böse überhaupt nicht bös, wenn es das Gute, – das Gute überhaupt nicht gut, wenn es das Böse nicht gäbe. Augustinus war wenigstens so weit gegangen, zu sagen, die Funktion des Schlechten sei, das Gute deutlicher hervortreten zu lassen, das umso mehr gefalle und desto lobenswürdiger sei, wenn es mit dem Schlechten verglichen werde. Hier war freilich der Thomismus mit der Warnung eingeschritten, es sei gefährlich, zu glauben, Gott wolle, daß das Böse geschehe. Gott wolle das weder, noch wolle er, daß Böses
nicht
geschehe, sondern ohne Wollen und Nichtwollen
erlaube
er das Walten des Bösen, und das komme allerdings der Vollkommenheit zustatten. Aber Abirrung sei es, zu behaupten, Gott lasse das Böse zu um des Guten willen; denn nichts sei für gut zu erachten, außer, es entspreche der Idee »gut« durch sich selbst, nicht durch Akzidenz. Immerhin, sagte Schleppfuß, werfe hier das Problem des absolut Guten und Schönen sich auf, des Guten und Schönen ohne Beziehung zum Bösen und Häßlichen, – das Problem der vergleichslosen Qualität. Wo der Vergleich entfalle, sagte er, entfalle der Maßstab, und weder von Schwerem noch Leichtem, weder von Großem noch Kleinem könne da die Rede sein.
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