Doktor Faustus
grüßten, sehr tief zu ziehen pflegte, wobei er »Ganz ergebener Diener!« sagte. Nach meiner Meinung schleppte er wirklich etwas den einen Fuß, doch wurde das {147} bestritten, und auch ich konnte mich meiner Beobachtung nicht jedesmal, wenn ich ihn gehen sah, mit Bestimmtheit versichern, sodaß ich nicht darauf bestehen und sie lieber einer unterschwelligen Suggestion durch seinen Namen zuschreiben will, – die Vermutung wurde durch den Charakter seines zweistündigen Kollegs gewissermaßen nahegelegt. Ich erinnere mich nicht genau, unter welchem Titel dasselbe im Vorlesungs-Index angezeigt war. Der Sache nach, die freilich etwas im Vagen schwebte, hätte es »Religionspsychologie« heißen können – hieß übrigens auch wohl wirklich so. Es war exklusiver Natur, auch keineswegs examenswichtig, und nur eine Handvoll intellektuell und mehr oder weniger revolutionär gerichteter Studenten, zehn oder zwölf, nahmen daran teil. Übrigens wunderte ich mich, daß es nicht mehr waren, denn Schleppfußens Produktion war anzüglich genug, um verbreitetere Neugier zu erwecken. Nur zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß auch das Pikante seine Popularität einbüßt, wenn es mit Geist verbunden ist.
Ich sagte ja schon, daß die Theologie ihrer Natur nach dazu neigt und unter bestimmten Umständen jederzeit dazu neigen muß, zur Dämonologie zu werden. Hierfür war Schleppfuß ein Beispiel, wenn auch eines sehr fortgeschrittener und intellektueller Art, da seine dämonische Welt- und Gottesauffassung psychologisch illuminiert war und dadurch dem modernen, wissenschaftlichen Sinn annehmbar, ja schmackhaft gemacht wurde. Dazu trug noch seine Vortragsweise bei, die ganz danach angetan war, gerade jungen Leuten zu imponieren. Er sprach völlig frei, distinkt, mühe- und pausenlos, druckfertig gesetzt, in leicht ironisch gefärbten Wendungen, – nicht vom Kathederstuhl aus, sondern irgendwo seitlich halb sitzend an ein Geländer gelehnt, die Spitzen der Finger bei gespreizten Daumen im Schoße verschränkt, wobei sein geteiltes Bärtchen sich auf und ab bewegte und zwischen ihm und dem spitz ge {148} drehten Schnurrbärtchen seine splittrig-scharfen Zähne sichtbar wurden. Der biderbe Teufelsumgang Professor Kumpfs war ein Kinderspiel im Vergleich mit der psychologischen Wirklichkeit, die Schleppfuß dem Zerstörer, diesem personifizierten Abfall von Gott, verlieh. Denn er nahm, wenn ich mich so ausdrücken darf, dialektisch den Lästerungsaffront in das Göttliche, die Hölle ins Empyreum auf, erklärte das Verruchte für ein notwendiges und mitgeborenes Korrelat des Heiligen und dieses für eine beständige satanische Versuchung, eine fast unwiderstehliche Herausforderung zur Schändung.
Dies wies er nach an dem Seelenleben der klassischen Epoche religiöser Daseinsdurchwaltung, des christlichen Mittelalters und namentlich der Jahrhunderte seines Ausgangs, einer Zeit vollständiger Übereinstimmung also zwischen dem geistlichen Richter und dem Delinquenten, zwischen Inquisitor und Hexe über die Tatsache des Verrates an Gott, des Teufelsbündnisses, der scheußlichen Gemeinschaft mit den Dämonen. Der vom Sakrosankten ausgehende Lästerungsreiz war dabei das Wesentliche, er war die Sache selbst, und er tat sich kund etwa in der Bezeichnung, die die Abgefallenen der Heiligen Jungfrau gaben: »Die dicke Frau«, oder in außerordentlich gemeinen Zwischenbemerkungen, greulichen Unflätereien, die beim Meßopfer heimlich auszustoßen der Teufel sie anhielt, und die Dr. Schleppfuß mit verschränkten Fingerspitzen wörtlich wiedergab, – ich versage mir dies aus Geschmacksgründen, mache ihm aber keinen Vorwurf daraus, daß er solche nicht gelten ließ, sondern der Wissenschaft die Ehre gab. Nur war es seltsam zu sehen, wie die Studenten dergleichen gewissenhaft in ihre Wachstuchhefte einzeichneten. Ihm zufolge war dies alles, war das Böse, war
der
Böse selbst ein notwendiger Ausfluß und ein unvermeidliches Zubehör der heiligen Existenz Gottes selbst; wie denn auch das Laster nicht aus sich selbst bestand, sondern seine Lust aus der Besudelung der Tu {149} gend zog, ohne welche es wurzellos gewesen wäre; anders gesagt: es bestand in dem Genuß der
Freiheit
, d.h. der Möglichkeit, zu sündigen, die dem Schöpfungsakt selbst inhärent war.
Hierin drückte sich eine gewisse logische Unvollkommenheit der Allmacht und Allgüte Gottes aus, denn was er nicht gekonnt hatte, war, der Kreatur, also dem, was er aus sich
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