Doktor Faustus
entließ, und was nun außer ihm war, die Unfähigkeit zur Sünde anzuschaffen. Dies hätte geheißen, dem Geschaffenen den freien Willen vorzuenthalten, sich von Gott abzukehren, – was eine unvollkommene Schöpfung, ja eigentlich überhaupt keine Schöpfung und Entäußerung Gottes gewesen wäre. Das logische Dilemma Gottes hatte darin bestanden, daß er außerstande gewesen war, dem Geschöpf, dem Menschen und den Engeln, zugleich die Selbständigkeit der Wahl, also freien Willen, und die Gabe zu verleihen, nicht sündigen zu können. Frömmigkeit und Tugend bestanden also darin, von der Freiheit, die Gott dem Geschöpf als solchem hatte gewähren müssen, einen guten Gebrauch, das heißt:
keinen
Gebrauch zu machen, – was nun freilich, wenn man Schleppfuß hörte, ein wenig so herauskam, als ob dieser Nicht-Gebrauch der Freiheit eine gewisse existenzielle Abschwächung, eine Minderung der Daseinsintensität der außergöttlichen Kreatur bedeutete.
Freiheit. Wie seltsam das Wort sich ausnahm in Schleppfußens Munde! Nun, gewiß, es hatte darin eine religiöse Betonung, er sprach als Theolog, und er sprach keineswegs wegwerfend davon, im Gegenteil, er zeigte ja die hohe Bedeutung auf, die bei Gott diesem Gedanken zukommen mußte, da er Menschen und Engel lieber der Sünde bloßgestellt hatte, als daß er ihnen die Freiheit vorenthalten hätte. Gut denn, Freiheit war das Gegenteil angeborener Sündlosigkeit, Freiheit hieß, nach eigenem Willen Gott die Treue wahren oder es mit den Dämonen treiben und beim Meßopfer Entsetzliches murmeln zu können. Das war eine Definition, an die Hand gegeben von {150} der Religionspsychologie. Aber die Freiheit hat ja auch schon in anderer, vielleicht weniger spiritueller und doch des Enthusiasmus nicht barer Bedeutung im Leben der Erdenvölker und in den Kämpfen der Geschichte eine Rolle gespielt. Sie tut das auch eben jetzt, während ich diese Lebensbeschreibung verfasse, – in dem gegenwärtig tobenden Kriege und, wie ich in meiner Zurückgezogenheit glauben möchte, nicht zuletzt in der Seele und den Gedanken unseres deutschen Volkes, dem unter der Herrschaft kühnster Willkür vielleicht zum erstenmal in seinem Leben ein Begriff davon dämmert, was es mit der Freiheit auf sich hat. Nun, so weit waren wir damals noch nicht. Die Frage der Freiheit war, oder schien, zu unserer Studentenzeit nicht brennend, und Dr. Schleppfuß mochte dem Wort die Bedeutung geben, die ihm im Rahmen seines Kollegs zukam, andere aber beiseite lassen. Wenn ich nur den Eindruck gehabt hätte,
daß
er sie beiseite ließ und, rein vertieft in seine religionspsychologische Auffassung, ihrer uneingedenk war. Er war aber ihrer eingedenk, dieses Gefühls konnte ich mich nicht entschlagen, und seine theologische Bestimmung der Freiheit hatte eine apologetisch-polemische Spitze gegen »modernere«, das heißt: plattere und bloß gang und gäbe Ideen, die seine Zuhörer etwa damit verbinden mochten. Seht, schien er sagen zu wollen, wir haben das Wort auch, es steht uns zu Gebote, glaubt nicht, daß es nur in euerem Wörterbuch vorkommt, und daß euere Idee davon die einzig vernunftgegebene ist. Freiheit ist eine sehr große Sache, die Bedingung der Schöpfung, das, was Gott hinderte, uns gegen den Abfall von ihm zu feien. Freiheit ist die Freiheit zu sündigen, und Frömmigkeit besteht darin, von der Freiheit aus Liebe zu Gott, der sie geben mußte, keinen Gebrauch zu machen.
So kam es heraus, etwas tendenziös, etwas boshaft, wenn mich nicht alles täuschte. Kurzum, es irritierte mich. Ich liebe es nicht, wenn Einer Alles haben will, dem Gegner das Wort aus {151} dem Munde nimmt, es umdreht und Begriffsverwirrung damit treibt. Das geschieht heute mit größter Kühnheit, und es ist die Hauptursache meiner Zurückgezogenheit. Gewisse Leute sollten nicht von Freiheit, Vernunft, Humanität sprechen, aus Reinlichkeitsgründen sollten sie es unterlassen. Aber gerade von Humanität sprach Schleppfuß auch – natürlich im Sinn der »klassischen Jahrhunderte des Glaubens«, auf deren Geistesverfassung er seine psychologischen Erörterungen gründete. Deutlich lag ihm daran, zu verstehen zu geben, daß Humanität keine Erfindung des freien Geistes sei, daß nicht ihm nur diese Idee zugehöre, daß es sie immer gegeben habe, und daß beispielsweise die Tätigkeit der Inquisition von rührendster Humanität beseelt gewesen sei. Ein Weib, erzählte er, war zu jener »klassischen« Zeit gefänglich angenommen,
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