Doktor Faustus
unseren Rucksäcken und Regen-Kapuzen, recht als freie Burschen, auf Schusters Rappen fort, in tagelangen Märschen, auf denen wir unsere Mahlzeiten in Dorf-Wirts {170} häusern, oft auch auf flacher Erde, am Rand eines Gehölzes gelagert, einnahmen und manche Nacht im Scheunenstroh eines Bauernhofes verbrachten, um bei Tagesgrauen unsere Morgen-Reinigung und -Erfrischung am langen Trog eines laufenden Brunnens vorzunehmen. Solche interimistische Lebensform, das hospitierende Einkehren von Städtern und geistig Bestrebten im Ländlich-Primitiven, bei Mutter Erde, in der Gewißheit ja doch, sehr bald wieder daraus in die gewohnte und »natürliche« Sphäre bürgerlicher Bequemlichkeit zurückkehren zu müssen oder zu – dürfen: solche freiwillige Zurückschraubung und Vereinfachung hat leicht, ja fast notwendig einen Anflug von Künstlichkeit, Gönnerhaftigkeit, Dilettantismus, Komik, der unserem Bewußtsein keineswegs ganz fremd war, und auf den denn wohl auch das gutmütig spöttische Schmunzeln sich bezog, womit mancher Bauer, den wir um Schlafstroh angingen, uns musterte. Was diesem Schmunzeln einiges Wohlwollen, ja Zustimmung verlieh, war unsere Jugend; und man kann ja sagen, daß Jugend die einzig legitime Brücke zwischen dem Bürgerlichen und dem Natürlichen ist, ein vor-bürgerlicher Zustand, aus dem alle Studenten- und Burschenromantik sich ableitet, das eigentlich romantische Lebensalter. Auf diese Formel brachte der im Gedanklichen immer energische Deutschlin die Sache, als wir uns in einem Scheunengespräch vor Einschlafen, im matten Licht einer Stallaterne, die in einer Ecke unseres Nachtquartiers brannte, über die Problematik unseres derzeitigen Lebens ergingen, indem er allerdings hinzufügte, es sei höchst geschmacklos, wenn Jugend die Jugend erörtere: Eine Lebensform, die sich selber bespräche und untersuche, löse eben damit als Form sich auf, und wahre Existenz habe nur das direkt und unbewußt Seiende.
Dem wurde nun widersprochen; Hubmeyer und Schappeler widersprachen dem, und auch Teutleben war nicht einverstan {171} den. Es wäre doch noch schöner, meinten sie, wenn immer nur das Alter die Jugend beurteilen und diese immer nur Gegenstand fremder Betrachtung sein dürfe, als ob sie nicht teilhabe am objektiven Geist. Sie habe aber teil daran, auch sofern es sich um sie selber handle, und müsse mitreden dürfen als Jugend über die Jugend. Es gäbe doch etwas, was man Lebensgefühl nenne, und was dem Selbstbewußtsein gleichkomme, und wenn schon dadurch die Lebensform aufgehoben würde, dann wäre überhaupt kein beseeltes Leben möglich. Mit dem bloßen Sein in Dumpfheit und Unbewußtheit, dem Ichthyosaurus-Dasein, sei gar nichts getan, und heutzutage müsse man in Bewußtheit seinen Mann stehen und mit artikuliertem Selbstgefühl seine spezifische Lebensform behaupten – lange genug habe es gedauert, bis die Jugend als eine solche anerkannt worden sei.
»Die Anerkenntnis ist aber mehr von der Pädagogik, das heißt von den Alten ausgegangen«, hörte man Adrian sagen, »als von der Jugend selbst. Die fand sich eines Tages von einer Zeit, die ja auch vom Jahrhundert des Kindes spricht und die Frauenemanzipation erfunden hat, einer überhaupt sehr nachgiebigen Zeit, beschenkt mit dem Prädikat der selbständigen Lebensform und stimmte natürlich eifrig zu.«
»Nein, Leverkühn«, sagten Hubmeyer und Schappeler, und die anderen unterstützten sie, – da habe er unrecht, wenigstens zum großen Teile unrecht. Es sei das Lebensgefühl der Jugend selbst gewesen, das sich mit Hilfe der Bewußtwerdung durchgesetzt habe gegen die Welt, wenn diese auch zur Anerkennung nicht ganz ungestimmt gewesen sei.
»Nicht im mindesten«, sagte Adrian. »Gar nicht ungestimmt.« Dieser Zeit brauchte man wohl nur zu sagen: »Ich habe ein spezifisches Lebensgefühl«, so mache sie gleich eine tiefe Verbeugung davor. Die Jugend habe da sozusagen in Butter geschnitten. Übrigens sei nichts dagegen zu sagen, wenn die Jugend und ihre Zeit einander verständen.
{172} »Warum so kaltschnäuzig, Leverkühn? Findest du es nicht gut, daß heute der Jugend ihr Recht wird in der bürgerlichen Gesellschaft, und daß man die Eigenwürde der Entwicklungszeit anerkennt?«
»O doch«, sagte Adrian. »Aber Sie gingen aus, ihr gingt aus, wir gingen aus von dem Gedanken …«
Er wurde von Gelächter unterbrochen, seines Versprechens wegen. Ich glaube, es war Matthäus Arzt, der sagte:
»Das war echt, Leverkühn. Die
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