Doktor Faustus
gekennzeichnet finden, für welches freilich das Wort »Prüderie« nun auch wieder das albern unpassendste wäre, das aber selbst der Derbheit scheue Rücksicht und den Wunsch nach Schutz und Schonung hätte einflößen können.
An meiner Bewegung hatte ja keinen geringen Anteil die {214} Tatsache, daß er mir das Abenteuer, und zwar Wochen nachdem es ihm zugestoßen, überhaupt mitteilte, was die Durchbrechung einer sonst unbedingten und von mir stets respektierten Verschlossenheit bedeutete. So sonderbar es in Ansehung unserer alten Kameradschaft klingen mag, – das Gebiet der Liebe, des Geschlechtes, des Fleisches war niemals in unseren Gesprächen auf eine irgend persönliche und intime Weise berührt worden; niemals anders, als durch das Medium von Kunst und Literatur, anläßlich der Manifestationen der Leidenschaft in der Sphäre des Geistes, hatte dies Wesen in unseren Austausch hineingespielt, und dabei waren sachlich wissende Äußerungen von seiner Seite gefallen, bei denen seine Person völlig aus dem Spiele blieb. Wie hätte ein Geist wie der seine dies Element nicht einschließen sollen! Daß er es tat, dafür waren Beweis genug seine Wiedergabe gewisser von Kretzschmar übernommener Lehren über die Unverächtlichkeit des Sinnlichen in der Kunst, und nicht nur in dieser; dann manche seiner Bemerkungen über Wagner und solche spontanen Äußerungen, wie die über die Nudität der menschlichen Stimme und ihre geistige Kompensation durch ausgeklügeltste Kunstformen in der alten Vokal-Musik. Dergleichen hatte nichts Jüngferliches; es zeugte von einem freien und gelassenen Ins-Auge-fassen der Welt der Begierde. Aber wiederum war es nicht charakteristisch für
mich
, sondern für
ihn
, wenn ich jedesmal bei solchen Wendungen des Gesprächs etwas wie einen Chock, eine Bestürzung, ein leises Sich-zusammenziehen meines Innern empfunden hatte. Es war, um mich emphatisch auszudrücken, wie wenn man einen Engel über die Sünde sich ergehen hörte: auch bei einem solchen würde man sich keiner Frivolität und Frechheit, keiner banalen Lustigkeit im Verhalten zum Gegenstande versehen müssen und wäre doch, bei aller Einsicht in sein geistiges Anrecht auf ihn, verletzt und zu der Bitte versucht: »Schweig, Lieber! Dein Mund ist zu rein und streng für diese Dinge.«
{215} Tatsächlich war Adrians Abneigung gegen laszive Plumpheiten von verbietender Ausgesprochenheit, und ich kannte genau das verächtlich angewiderte und abwehrende Sich-verziehen seines Gesichts, wenn dergleichen auch nur im Anzuge war. Zu Halle, im Winfried-Kreise, war er vor solchen Angriffen auf sein Feingefühl so ziemlich sicher gewesen; die geistliche Wohlanständigkeit – des Wortes wenigstens – hielt sie hintan. Von Frauen, Weibern, Mädchen, Liebesverhältnissen war zwischen den Commilitonen nicht die Rede. Ich weiß nicht, wie diese jungen Theologen es in der Tat, jeder für sich, damit hielten, ob sie sich alle in Züchten für die christliche Ehe aufsparten. Was mich selbst betrifft, so will ich nur gestehen, daß ich vom Apfel gekostet hatte und damals sieben oder acht Monate lang Beziehungen zu einem Mädchen aus dem Volk, einer Küferstochter, unterhielt, – ein Verhältnis, das vor Adrian geheim zu halten schwer genug war (ich glaube wirklich nicht, daß er es beachtete), und das ich nach dieser Frist auf gute Art wieder löste, da der Bildungstiefstand des Dinges mich ennuyierte und ich mir nichts mit ihr zu sagen hatte, als immer nur das Eine. Nicht sowohl Heißblütigkeit, als Neugier, Eitelkeit und der Wunsch, den antikischen Freimut im Verhalten zum Geschlechtlichen, der zu meinen theoretischen Überzeugungen gehörte, in die Praxis zu übersetzen, hatten mich vermocht, diese Bindung einzugehen.
Gerade dies Element nun aber, das einer geistreichen Vergnügtheit, wie ich sie wenigstens, mag sein ein wenig schulmäßig, prätendierte, fehlte der Stellung Adrians zu der fraglichen Sphäre vollkommen. Ich will nicht von christlicher Verhemmtheit sprechen und nicht das teils kleinbürgerlich-moralische, teils mittelalterlich-sündenscheue Kennwort »Kaisersaschern« darauf anwenden. Das würde der Wahrheit sehr unzulänglich gerecht und hätte nicht ausgereicht, die liebende Rücksicht, den Haß auf jede mögliche Verletzung hervorzu {216} rufen, die seine Haltung mir einflößte. Wenn man sich ihn in einer »galanten« Situation überhaupt nicht vorstellen konnte – und wollte –, so lag das an dem Harnisch von
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