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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Reinheit, Keuschheit, intellektuellem Stolz, kühler Ironie, der ihn umgab, und der mir heilig war, – heilig auf eine gewisse schmerzliche und heimlich beschämende Weise. Denn schmerzlich und beschämend – außer etwa für die Bosheit – ist der Gedanke, daß Reinheit dem Leben im Fleische nicht gegeben ist, daß der Trieb den geistigsten Stolz nicht scheut, und der verweigerndste Hochmut der Natur seinen Zoll entrichten muß, so daß man nur hoffen kann, diese Demütigung ins Menschliche, und damit denn auch ins Tierische, nach Gottes Willen, möge sich in der schonend verschöntesten, seelisch gehobensten Form, verhüllt von Liebeshingebung, von läuternder Empfindung vollziehen.
    Muß ich hinzufügen, daß eben hierauf in Fällen wie dem meines Freundes am wenigsten Hoffnung besteht? Die Verschönung, Verhüllung, Veredelung, von der ich sprach, ist das Werk der Seele, einer mittleren, vermittelnden und stark poetisch angehauchten Instanz, in der Geist und Trieb einander durchdringen und sich auf eine gewisse illusionäre Weise versöhnen, – einer ganz eigentlich sentimentalen Lebensschicht also, in der, wie ich gestehe, meine eigene Menschlichkeit sich recht wohl behagt, die aber nicht nach dem strengsten Geschmacke ist. Naturen wie Adrian haben nicht viel »Seele«. Es ist eine Tatsache, über die tief beobachtende Freundschaft mich belehrt hat, daß die stolzeste Geistigkeit dem Tierischen, dem nackten Triebe am allerunvermitteltsten gegenübersteht, ihm am allerschnödesten preisgegeben ist; und das ist der Grund für die sorgende Apprehension, die meinesgleichen durch eine Natur wie Adrians auszustehen hat, – es ist auch der Grund, weshalb ich das verdammte Abenteuer, von dem er mir berichtete, als etwas so erschreckend Symbolisches empfand.
    {217} Ich sah ihn stehen auf der Schwelle des Freudensalons und, nur langsam begreifend, auf die harrenden Wüstentöchter blicken. Wie durch die Fremde von Mütze's Gastlokal in Halle – ich hatte das Bild so deutlich vor mir – sah ich ihn blind hindurchgehen, auf das Klavier zu, und Akkorde anschlagen, von denen er sich erst nachträglich Rechenschaft geben sollte. Ich sah die Stumpfnäsige neben ihm – Hetaera esmeralda – gepuderte Halbkugeln im spanischen Mieder – sah sie mit dem nackten Arm seine Wange streicheln. Heftig, über den Raum hinweg und in der Zeit zurück, verlangte es mich dorthin. Ich hatte Lust, die Hexe mit dem Knie von ihm wegzustoßen, wie er den Schemel beiseite stieß, um den Weg ins Freie zu gewinnen. Tagelang spürte ich die Berührung ihres Fleisches auf meiner eigenen Wange und wußte dabei mit Widerwillen, mit Schrecken, daß sie seither auf der seinen brannte. Wiederum kann ich nur bitten, es nicht als bezeichnend für mich, sondern für ihn zu betrachten, daß ich außerstande war, den Vorfall von der heiteren Seite zu nehmen. Es war absolut nichts Heiteres daran. Wenn es mir im Entferntesten gelungen ist, dem Leser von der Natur meines Freundes ein Bild zu geben, so muß er mit mir das unbeschreiblich Schändende, das höhnisch Erniedrigende und das Gefährliche dieser Berührung empfinden.
    Daß er bis dato kein Weib »berührt« hatte, war und ist mir eine unumstößliche Gewißheit. Nun hatte das Weib ihn berührt – und er war geflohen. Auch an dieser Flucht ist nicht eine Spur des Komischen, ich kann es dem Leser versichern, falls er geneigt sein sollte, dergleichen darin zu suchen. Komisch allenfalls war dieses Entweichen in dem bitter-tragischen Sinn der Vergeblichkeit. In meinen Augen war Adrian nicht entkommen, und sehr vorübergehend, gewiß, hat er sich als ein Entkommener gefühlt. Der Hochmut des Geistes hatte das Trauma der Begegnung mit dem seelenlosen Triebe erlitten. Adrian sollte zurückkehren an den Ort, wohin der Betrüger ihn geführt.

{218} XVIII
    Bei meiner Darstellung, meinen Berichten möge der Leser nicht fragen, woher denn das Einzelne mir so genau bekannt ist, da ich ja nicht immer dabei, dem verewigten Helden dieser Biographie nicht immer zur Seite war. Es ist richtig, daß ich wiederholt durch längere Zeiträume getrennt von ihm lebte: so während meines Militärjahrs, nach dessen Ablauf ich allerdings an der Universität Leipzig meine Studien wieder aufnahm und seinen dortigen Lebenskreis genau kennen lernte. So auch für die Dauer meiner klassischen Bildungsreise, die in die Jahre 1908 und neun fiel. Nur flüchtig war unsere Wiederbegegnung bei meiner Rückkehr von dieser,

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