Doktor Faustus
harmonisch-simultan zu bringen.
Es bedeutet aber diese Klang-Chiffre h e a e es: Hetaera esmeralda.
***
Adrian kehrte nach Leipzig zurück und äußerte sich mit amüsierter Bewunderung über das schlagkräftige Opernwerk, das er wiedergehört haben wollte, möglicherweise wirklich wiedergehört hatte. Noch höre ich ihn über dessen Urheber sagen: »Was für ein begabter Kegelbruder! Der Revolutionär als Sonntagskind, keck und konziliant. Nie waren Avantgardismus und Erfolgssicherheit vertrauter beisammen. Affronts und Dissonanzen genug, – und dann das gutmütige Einlenken, den Spießer versöhnend und ihn bedeutend, daß es so schlimm nicht gemeint war … Aber ein Wurf, ein Wurf …« – Fünf Wochen nach der Wiederaufnahme seiner musikalischen und philoso {228} phischen Studien bestimmte eine lokale Erkrankung ihn, sich in ärztliche Behandlung zu geben. Der Spezialist, den er aufsuchte, Dr. Erasmi mit Namen, – Adrian hatte seine Wohnung im Adreßbuch aufgeschlagen – war ein gewichtiger Mann mit rotem Gesicht und schwarzem Spitzbart, dem es offenbar schwer fiel, sich zu bücken, der aber nicht nur dabei, sondern auch sonst, wenn er aufrecht war, die Luft pustend zwischen den aufgeworfenen Lippen auszustoßen pflegte. Diese Gewohnheit zeugte wohl von Bedrängnis, hatte aber zugleich den Ausdruck wegblasender Gleichgültigkeit, wie wenn einer eine Sache mit einem »Pah!« abtut oder sie doch damit abzutun versucht. So blies der Doktor andauernd bei der Untersuchung und erklärte sich dann, in einem gewissen Widerspruch zu dem Ausdruck seines Pustens, für die Notwendigkeit einer eingreifenden und ziemlich langwierigen Behandlung, die er auch sofort in Angriff nahm. An drei aufeinanderfolgenden Tagen war Adrian zur Fortsetzung dieser Behandlung bei ihm; dann ordnete Erasmi eine Unterbrechung von drei Tagen an und bestellte ihn auf den vierten. Als sich der Patient – der übrigens nicht litt, sein Allgemeinbefinden war überhaupt nicht berührt – zur festgesetzten Stunde, nachmittags um 4 Uhr, wieder einfand, begegnete ihm etwas gänzlich Unerwartetes und Erschreckendes.
Während er sonst an der Wohnungstür, drei steile Treppen hoch, in einem etwas düsteren Hause der Altstadt, stets hatte schellen müssen, worauf eine Magd ihm geöffnet hatte, fand er diesmal jene Tür weit offen stehen, und ebenso verhielt es sich mit den Türen im Innern der Wohnung: Offen stand die Tür zum Warte- und darin wieder die zum Ordinationszimmer, offen aber auch, geradeaus, diejenige zum Wohnzimmer, einer zweifenstrigen »Guten Stube«. Ja, hier standen auch die Fenster weit offen, und vom Zugwinde gebläht und aufgehoben, wurden alle vier Gardinen abwechselnd weit in den Raum hinein {229} getrieben und wieder in die Fensternischen zurückgezogen. Mitten im Zimmer aber lag Dr. Erasmi mit erhobenem Spitzbart und tief gesenkten Augenlidern, in weißem Manschettenhemd und auf einem Troddelkissen im offenen, auf zwei Böcken stehenden Sarge.
Wie das zuging, warum der Tote da so allein und offen im Winde lag, wo die Magd, wo Frau Dr. Erasmi waren, ob etwa gerade die Leute der Bestattungsgesellschaft zur Aufschraubung des Deckels sich in der Wohnung aufhielten oder sie vorübergehend verlassen hatten, welcher sonderbare Augenblick den Besucher zur Stelle geführt, ist niemals klar geworden. Adrian konnte mir, als ich nach Leipzig kam, nur die Verwirrung schildern, in der er nach gehabtem Anblick, die drei Treppen wieder hinabgestiegen war. Dem plötzlichen Tode des Doktors scheint er nicht weiter nachgeforscht, sich nicht dafür interessiert zu haben. Er meinte, das ewige »Pah« des Mannes sei gewiß schon immer ein schlechtes Zeichen gewesen.
Mit geheimem Widerwillen, ein unvernünftiges Grauen bekämpfend, muß ich nun berichten, daß die zweite Wahl, die er traf, unter einem verwandten Unheilssterne stand. Er brauchte zwei Tage, um sich von dem erlittenen Chock zu erholen. Dann, wiederum nur beraten vom Leipziger Adreßbuch, gab er sich in die Behandlung eines gewissen Dr. Zimbalist, wohnhaft in einer der Geschäftsstraßen, die am Marktplatz zusammenlaufen. Unten im Hause befand sich ein Restaurant, darüber ein Klavierlager, und einen Teil des zweiten Stockwerks nahm die Wohnung dieses Arztes ein, dessen porzellanenes Namensschild schon unten neben der Haustür in die Augen stach. Die beiden Wartezimmer des Dermatologen, eines davon weiblichen Patienten vorbehalten, waren mit Topfpflanzen, Zimmerlinden und
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