Doktor Faustus
Palmen geschmückt. Medizinische Zeitschriften und Bücher zum Blättern, eine illustrierte Sittengeschichte {230} zum Beispiel, lagen in demjenigen auf, worin Adrian einmal und ein zweites Mal noch seinem Empfange entgegensah.
Dr. Zimbalist war ein kleiner Mann mit Hornbrille, einer ovalen Glatze, die sich zwischen rötlichem Haar von der Stirn zum Hinterkopf zog, und einem nur unter den Nasenlöchern stehen gelassenen Schnurrbärtchen, wie es damals in den oberen Klassen Mode geworden war und später zum Attribut einer welthistorischen Maske werden sollte. Seine Redeweise war salopp und männerwitzig, zum Kalauern geneigt. Er war imstande, sich der Bezeichnung »Rheinfall von Schaffhausen« in dem Sinne zu bedienen, den die Weglassung des h in dem Namen des Flusses hervorbringt, also im Sinn eines groben Mißgeschicks, eines Hineinfalls. Man hatte indessen nicht den Eindruck, daß ihm selber sehr wohl dabei war. Ein tickartiges Emporgezogen-werden seiner einen Wange, zusammen mit dem Mundwinkel und unter zwinkernder Mitbeteiligung des Auges, war von mißlich-säuerlichem Ausdruck, hatte etwas für nichts Gutstehendes, Verlegenes und Fatales. So hat Adrian ihn mir geschildert, und so sehe ich ihn vor mir.
Es geschah nun folgendes. Adrian hatte sich zweimal der Behandlung bei seinem zweiten Arzt unterzogen und ging ein drittes Mal zu ihm. Beim Ersteigen der Treppe, zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk, begegnete er demjenigen, den er aufzusuchen gedachte; er kam ihm zwischen zwei stämmig gebauten Männern, die ihre steifen Hüte im Nacken trugen, entgegen. Dr. Zimbalists Augen waren niedergeschlagen wie die eines Mannes, der beim Treppensteigen nach seinen Tritten sieht. Sein eines Handgelenk war durch Spange und Kettchen mit demjenigen eines seiner Begleiter verbunden. Aufblickend und seinen Patienten erkennend, zuckte er säuerlich mit der Wange, nickte ihm zu und sagte: »Ein andermal!« Adrian, der, mit dem Rücken zur Wand, gegen die drei hatte Front machen müssen, ließ sie verdutzt vorüber, sah den Hinabsteigenden {231} eine Weile nach und folgte ihnen dann die Treppe hinunter. Vor dem Hause sah er sie einen Wagen besteigen, der dort wartete, und in schnellem Tempo davonfahren.
So endete die Fortsetzung von Adrians Kur, nach ihrer ersten Unterbrechung, bei Dr. Zimbalist. Ich muß hinzufügen, daß er sich um die Hintergründe dieses zweiten Fehlschlages so wenig kümmerte wie um das Seltsame, das jener ersten Erfahrung angehaftet hatte. Warum Zimbalist abgeholt worden war, obendrein zu der Stunde gerade, auf die ihn der Doktor bestellt hatte, – er ließ es auf sich beruhen. Die Kur aber nahm er, gleichsam verschreckt, danach nicht wieder auf, wandte sich an keinen dritten Arzt. Er tat es umso weniger, als der lokale Affekt auch ohne weitere Behandlung binnen kurzem abheilte und verschwand und, wie ich versichern kann und gegen jeden fachmännischen Zweifel aufrechterhalten werde, irgendwelche manifeste Sekundär-Symptome vollkommen ausblieben. Adrian erlitt einmal, in Wendell Kretzschmars Wohnung, dem er eben eine Kompositionsstudie vorlegte, eine heftige Anwandlung von Schwindel, die ihn taumeln ließ und ihn zwang, sich niederzulegen. Sie ging in eine zweitägige Migräne über, die sich höchstens nach der Stärke der Unpäßlichkeit von früheren Anfällen dieser Art unterschied. Als ich, dem Zivilleben zurückgegeben, nach Leipzig kam, fand ich meinen Freund nach Wandel und Wesen unverändert.
XX
Oder doch nicht? – War er während des Jahrs unserer Trennung kein andrer geworden, so war er doch ausgesprochener noch er selbst geworden, und das genügte, mich zu beeindrucken, besonders da ich wohl ein wenig vergessen hatte, wie er war. Die Kühle unseres Abschiedes in Halle habe ich geschildert. Unser Wiedersehen, auf das ich mich unendlich gefreut hatte, stand {232} ihm in dieser Eigenschaft nicht nach, so daß ich, verblüfft, zugleich erheitert und betrübt, alles zu verschlucken und niederzuhalten hatte, was sich an Gefühl dabei über den Rand meines Wesens drängte. Daß er mich vom Bahnhof abholen würde, hatte ich nicht erwartet, hatte ihn auch garnicht genau die Stunde meiner Ankunft wissen lassen. Ich suchte ihn einfach, noch ohne für eigene Unterkunft gesorgt zu haben, in seiner Wohnung auf. Seine Wirtin meldete mich ihm, und ich betrat das Zimmer, indem ich mit froher Stimme seinen Namen rief.
Er saß an seinem Schreibtisch, einem altmodischen Sekretär mit Rolldeckel und
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