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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Schinkenscheiben, so frisch, dass sie noch grunzten, schrak er auf.
    Er hatte etwas gehört.
    Aus dem Bad.
    Ein Blubbern...als käme etwas aus der Tiefe he-rauf...aus der Tiefe des Wassers, des Raumes und der Zeit...als käme etwas...inder Zeitbadewanne an?
    Bulle setzte sich kerzengerade im Bett auf und starrte ins Dunkel. Mit klopfendem Herzen lauschte er in Richtung Bad. Aber kein Laut war zu hören.
    Ängstlich rief er: »Lise?«
    Seine Stimme klang so nackt und einsam in der Nacht. Vor allem, da keine Antwort kam.
    »Doktor Proktor?«
    Immer noch nichts.
    »Juliette?«
    Nein, keinerlei Antwort.
    Bulle verkroch sich unter der Bettdecke. Den vierten denkbaren Namen zu rufen, dazu fehlte ihm jegliche Lust, nicht einmal denken wollte er ihn. Sogar seine Gedanken fingen an zu stottern beim Gedanken an die R-r-raspa.
    So lag er eine Weile und wartete. Nichts passierte. Und für Jungs wie Bulle gibt es nur eines, was schlimmer ist, als dass unheimliche Dinge passieren, nämlich dass gar nichts passiert. Also sprang er aus dem Bett, schlich barfuß zu dem Stuhl mit der nassen Uniform, zog den Säbel aus dem Gürtel, ging auf Zehenspitzen zur Badezimmertür und riss sie mit einem Kriegsruf auf:
    »Banzai, du Hundsfott!«
    Säbelschwingend rannte er hinein und zerschnitt die Dunkelheit in drei, vier, ja, vielleicht sogar fünf Stücke.

    Erst als er sicher war, dass er die Dunkelheit mitsamt allem, was sich in ihr befand, kurz und klein gehauen hatte, machte er Licht. Aus dem Zahnputzglas vorm Spiegel starrte Perry ihn aus schwarzen Facettenaugen entsetzt an. Aber sonst war nichts da, jedenfalls nichts, was vorhin nicht auch da gewesen wäre.
    Irrtum: Eine leere, zugekorkte Weinflasche trieb im stillen Wasser der Badewanne.
    Er sah genauer nach. Noch ein Irrtum: Die Flasche war durchaus nicht leer.
    Bulle angelte sie heraus, packte den Korken mit den Zähnen und zog ihn mit einem »Plopp!« heraus. Dann drehte er die Flasche auf den Kopf, schüttelte sie und ein zusammengefalteter Zettel fiel heraus.
    Er faltete ihn auf und las. Seine Augen tanzten über die Zeilen. Und auf seinem Gesicht wuchs ein Lächeln immer mehr in die Breite.
    Der Brief war von Lise. An ihn.
    »Tjaja, Perry, alter Freund«, sagte er, faltete den Brief wieder zusammen und kontrollierte im Spiegel den Sitz seiner roten Haartolle. »Da wären wir wieder im Einsatz. Hätte dir ja gern noch ein bisschen Gesellschaft geleistet, aber neue Abenteuer rufen. Sag mal, was weißt du von der Französischen Revolution und vom Enthaupten?«

14 . Kapite l
Gustave Eiffel
    er Mann mit dem gewaltigen Schnurrbart, noch gewaltigerem Bauch und einer Krummpfeife zwischen den Lippen starrte das Mädchen an, das gerade wie aus dem Nichts in seinem Büro aufgetaucht war. Von der Badewanne ganz zu schweigen. Er kniff mit der Augenbraue sein Monokel fest, ließ ein überraschtes »Puff!« zwischen den Lippen entweichen und eine Wolke von Tabakrauch stieg zwischen den Bücherregalen empor.
    Lise sah sich um. Die Wände hingen voller Zeichnungen von Bauwerken, Brücken, Burgen und anderen gewaltigen Dingen, die mit B anfangen und die in kein gewöhnliches Reisegepäck hineinpassen. Auf dem Schreibtisch vor dem Fenster lagen weitere Entwurfszeichnungen und ein Tabakbeutel und daneben standen zwei leere Rotweinflaschen. Das Fenster ging auf einen großen, offenen und ziemlich leeren Platz hinaus. Auffallend leer, wirklich. Abgesehen von all den Menschen mit Regenschirmen und Zylinderhüten. Irgendwie wirkte dieser Platz seltsam bekannt, fand Lise.
    »Wer bist du?«, fragte der Mann, »und woher kommst du?«
    »Ich heiße Lise«, sagte Lise und wrang sich den Pulloverärmel aus. »Ich komme aus der Kanonenstraße in Norwegen. Von irgendwann im nächsten Jahrtausend. Sie sind sicher Gustave Eiffel?«
    Der Mann nickte und bekam im selben Moment einen Hustenanfall.
    »Ich verstehe, dass Sie erschrocken sind, Herr Eiffel«, sagte Lise.
    Der Mann winkte abwehrend, hustete noch ein paarmal und flüsterte mit kaum mehr hörbarer Stimme: »Überhaupt nicht.«
    Sein Gesicht war klatschmohnrot angelaufen und er rang sichtlich nach Luft. Als er endlich wieder welche bekam, knirschte es in seiner Kehle und gurgelte in seinen Lungen. Dann steckte er die Pfeife wieder in den Mund, sog den Rauch tief ein und lächelte zufrieden:
    »Kein Problem, das war nur ein kleiner Asthma-Anfall.«
    Eigentlich fand Lise, Herr Eiffel wirke tatsächlich nicht so erschrocken, wie man es von jemandem erwarten

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