Doktor Proktors Zeitbadewanne
L!«.
So laut er nur konnte, schrie Bulle durch die Gitterstäbe: »Äll!«
Und wie ein Echo aus weiter Ferne: »Gebt mir ein E. . .«
»Eeh!«
Doch dann übertönten die Flammen alles Weitere und schlugen über Raspa zusammen. Wie Sternschnuppen stoben die Funken empor in den samtschwarzen und merkwürdig schönen Nachthimmel.
Bulle wartete noch ein wenig. Dann glitt er von den Schultern des Professors hinunter.
»Wir brauchen auf Raspa nicht zu warten«, sagte er, ungewöhnlich still für seine Verhältnisse.
»Was?«, fragten Jeanne und Juliette.
Aber Doktor Proktor und Lise sagten nichts. Der Professor blickte Bulle lange an. Dann nickte er langsam und stieg in die eine Badewanne. »Kommt, Leute, wir müssen hier weg, so lange die Seife noch schäumt.«
»Schaut mal«, sagte Lise und deutete auf den Boden.
Dort stand Raspas Einmachglas mit der Zeitseife.
»Hm«, sagte der Professor und hob es auf. »Das bedeutet, wir haben genug Pulver für einen netten, kleinen Urlaub. So etwas könnten wir gebrauchen. Was haltet ihr von ein paar Tagen auf einer sonnigen Insel in der Karibik, lange bevor der Tourismus dort einsetzt?«
Als kurz darauf zwei Wachen die Tür zum Kerkerloch aufrissen, fanden sie es menschenleer, allerdings mit drei Badewannen darin.
»Was soll das bedeuten?«, fragte der größere der beiden. Unter seinem Helm hatte er eine unglaublich dämliche Pottfrisur und auf der Oberlippe einen großen, gezwirbelten Schnurrbart.
»Ja, was soll das bedeuten?«, fragte der andere. Unter seinem Helm hatte er eine unglaublich dämliche Pottfrisur und auf der Oberlippe kein einziges Härchen und schon gar keinen Bart.
»Hm«, sagte der Schnurrbart. »Als wir diese Jeanne d’Arc abgeholt haben, war nur eine einzige Badewanne hier drin.«
»Ja, genauso war es«, schnaufte der Bartlose.
»Jaja«, sagte der Schnurrbart. »Offenbar sind die Leute, die mit ihrer Kanone das Feuer ausgepustet haben, nicht zu finden. Na, komm.«
»Hm«, sagte der Bartlose, der vor der Wand stand und offensichtlich aufmerksam etwas betrachtete.
»Was ist denn?«, fragte der Schnurrbart und trat näher.
»Die Zeichnung da«, sagte der Bartlose. »Ein ganz großartiger Bart. So einen hab ich noch nie gesehen, eine Art Schnauzbart. Ich glaub, ich werd mal...«
»Jetzt komm«, sagte der Schnurrbart und zog ihn weg.
20 . Kapite l
Indien
zurblaue Wellen schwappten an den weißen Strand, wo Lise mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag. Wenn sie ab und zu mal ein Auge auftat, sah sie den Wipfel einer Palme vor dem wolkenlosen Himmel. Die Palme war schräg gewachsen und lehnte sich zum Meer hin über den Strand, als hätte sie Sehnsucht danach, mit Juliette, Doktor Proktor und Jeanne zu baden, die dort draußen in den Wellen tobten, so fröhlich, als ob nichts passiert wäre.
Lise hätte das auch gern getan. Aber der Gedanke an Raspa hinderte sie daran.
Etwas verschattete die Sonne und sie schlug die Augen auf. Ein besorgtes Gesicht voll dicker Sommersprossen blickte auf sie herab.
»Du siehst besorgt aus«, sagte Lise. »Weil du so nachdenklich aussiehst«, sagte Bulle. »Wir sollen uns hier erholen. Nicht nachdenken.« Er kletterte auf den schrägen Palmenstamm und legte sich direkt über ihr auf den Bauch.
»Weißt du, warum Raspa sich an den Pfahl gebunden hat?«, fragte Lise.
»Weil nur der Tod die Geschichte verändern kann«, sagte Bulle, kniff ein Auge zusammen und langte mit dem Arm hinter sich, im vergeblichen Versuch, sich zwischen den Schulterblättern zu kratzen.
»Ja, aber weißt du, warum sie nicht zulassen wollte, dass Doktor Proktor sich opfert, sondern seinen Platz eingenommen hat?«
»Klare Sache«, sagte Bulle und versuchte es mit dem anderen Arm, falls der zufällig länger war. »Sie hat ihn geliebt.«
»Du hast das gewusst?«, fragte Lise völlig verblüfft.
»Na, aber hör mal, wenn einer verliebt ist, dann sieht man das doch drei Meilen gegen den Wind«, sagte Bulle und brach einen kleinen Zweig ab. »Sogar Raspa hat irgendwann erkennen müssen, dass Doktor Proktor unsterblich in Juliette verliebt war. Und als sie Juliette auf dem Scheiterhaufen sah, wusste sie, die einzige Möglichkeit, den Mann, den sie liebte, glücklich zu machen, bestand darin, dass er seine Geliebte bekam. Also sorgte sie dafür, dass beide zusammenkommen. Man könnte sagen, sie hat sich für die Liebe geopfert. Nur nicht für ihre eigene.«
Lise war restlos gerührt. »Bulle! Ich hätte nicht gedacht, dass Jungen
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