Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
Richtung Schaufenster warf, hatte sie vor einem tabakfarbenen Mantel einen Frauenkörper liegen sehen.
Stucky schaute auf die Uhr, es war sechs Uhr achtunddreißig frühmorgens. Die kleine Gruppe Schaulustiger bestand aus Frühaufstehern, einem Leibwächterpaar, Herrchen und Frauchen inkontinenter Hündchen und einem verschlafenen Barista. Während der Inspektor sich unter diese Leute mengte, schnappte er ein paar Bemerkungen auf, wie »nackt« und »a xe nera« . Er sah den bereits zugedeckten Körper im Schaufenster liegen, doch unter der Folie ragte ein dunkelhäutiger Arm heraus. Der Mörder musste sich abgemüht haben, um die Frau in diese Position zu bringen. Sobald Stucky den Laden betreten und die Plane hatte hochheben lassen, stellte er fest, dass das Opfer auf der rechten Seite lag, den linken Arm zum Kopf geführt und das linke Bein so angewinkelt, dass man den Schambereich nicht sehen konnte. Der nackte steife Körper war mit jenen kleinen Zettelchen wie mit Blütenblättern bestreut, die Stucky sofort wiedererkannte – es handelte sich um das poetische Innenleben der berühmten Pralinenverpackung. Er staunte über das weiche Haar, das, in Form eines Pagenkopfs geschnitten war. Er dachte, dass die Neugierigen draußen wohl eher von der Haut als von dem Haar beeindruckt waren: In der Stadt gab es nur eine dunkelhäutige Verkäuferin.
Während er auf das Eintreffen des Staatsanwalts wartete, sah Stucky den Kollegen zu, die die Vermessungen vornahmen. Ihn irritierte die Inszenierung, die sich der Mörder ausgedacht hatte. Die Kleider des Opfers waren verschwunden. Es gab weder Handtasche noch Mantel, nur ihren zur Schau gestellten Körper und sonst nichts.
Die Haupttür war nicht aufgebrochen worden, und auch die Tür zwischen den Umkleidekabinen und dem kleinen Lagerraum, der zum Innenhof führte, wies keine Spuren einer gewaltsamen Öffnung auf. Stucky machte den Leuten ein Zeichen, dass sie auch die Türen fotografieren sollten. Er glaubte, dass das arme Mädchen erwürgt worden war. Intuitiv war er zu dem Schluss gelangt, dass der Mörder bei Ladenschluss durch den Hinterraum eingetreten war und ein paar Minuten abgewartet hatte, bevor er sie überrumpelte. Im Geschäft hatte Stucky nichts bemerkt, was auf ein Handgemenge hingedeutet hätte; die Regale waren in schönster Ordnung. Die Eleganz war im ganzen Raum intakt geblieben: Die Kleidungsstücke waren ordentlich aufgereiht, die Farben nüchtern und seriös, die flauschigen Mäntel von raffiniertem Zuschnitt, Blusen und Röcke so fein, dass sie schon zu knittern schienen, wenn man sie bloß ansah. Vielleicht um diese Ordnung nicht zu stören, hatte der Mörder die Kleider des Opfers und alle seine Habseligkeiten mitgenommen.
Der Inspektor hielt alles in seinem Notizbuch fest. Dann trat er an die Putzfrau heran, die niedergeschlagen auf der Eingangsstufe eines anderen Geschäfts saß. Es war eine Rumänin, BENVENUTA Nummer 1006, parfümiert wie eine Rumänin, das Gesicht rosig und wie Butter glänzend. Man hatte ihr bereits die Arbeitswerkzeuge weggenommen, die ins Labor geschickt werden mussten. Oben, am Kranzgesims, schienen die Tauben die Szene zu beobachten, während die Zahl der Gaffer von Minute zu Minute wuchs.
»Das ist nicht das erste Geschäft, in dem Sie heute sauber machen, oder?«
»Es ist das vorletzte, Signore.«
»Wie viele putzen Sie am Morgen?«
»Acht, Signore.«
»Alles Bekleidungsgeschäfte?«
»Eine Reinigung, einen Musikladen und die übrigen für Kleider, Signore.«
»Sie haben nur den Schlüssel für den hinteren Eingang, nicht wahr?«
»Ja, Signore.«
»Wie sah das Ladenlokal aus, als Sie es betreten haben?«
»Normal …«
»Nichts Merkwürdiges?
»Nichts, Signore.«
»Seit wann putzen Sie hier?«
»Seit einem Jahr, Signore.«
»Kannten Sie das Opfer?«
»Nein, Signore. Ich kenne nur Signora Veneziani. Sie war es, die mir die Stelle hier verschafft hat …«
Stucky sah zu, wie die Frau sich, begleitet von einem Polizisten, entfernte, und fragte sich, was für ein Typ der Mörder sein könnte, jemand, der vielleicht einfach neben der Toten stehen geblieben war, ohne etwas zu essen, zu rauchen oder sich einen Kaschmirpullover überzuziehen. Im Staubsaugerbeutel werden wir nichts finden, dachte Stucky.
Nur diese herabgeregneten Zettelchen, aus einer Unmenge von Pralinenverpackungen, genau neunundfünfzig, nach Aussage eines der Polizisten, der sie gezählt hatte. Plötzlich kam ihm Klema raffiniert vor,
Weitere Kostenlose Bücher