Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
befragen die.«
In der Wohnung gegenüber wohnte eine gewisse Signora Pitzalis, eine alte Frau, die Landrulli aufgrund seiner süditalienischen Aussprache nicht in ihre Wohnung lassen wollte. »Er gehört nicht zu uns«, erklärte sie dem Inspektor.
»Ich rede nicht mit den foresti , auch dann nicht, wenn Sie mir eine Strafe aufbrummen sollten …«
Sie geizte sehr mit Informationen. Fest in ihren Schal eingewickelt, blass und gebrechlich, wirkte sie wie eine alte Porzellanteekanne. Sie erzählte, dass sie fast nie ausging, dass man ihr auch die Einkäufe heraufbringe. Der Mieterin von gegenüber misstraute sie; davon, dass sie nicht mehr lebte, hatte sie keine Ahnung. Am nächsten Morgen würde sie es lesen, im Gazzettino . Vielleicht würde man es während der Messe bekannt geben – sie selbst besuchte die Messe immer in San Francesco –, vorausgesetzt, das Mädchen war eine gute Christin. Dann überlegte sie kurz und setzte hinzu: »Die guten Christen bringt keiner um.«
»Was ist mit Christus selbst?«
»Der zählt nicht, der war eben Christus.«
Inspektor Stucky musste der Alten dann versichern, dass keinerlei Gefahr bestand und dass in die Wohnung jetzt, da sie mieterfrei sei, auch keine Chinesen einziehen würden.
»Sie wird eine Weile beschlagnahmt bleiben.«
»Aber dann werden sie Chinesen hineinsetzen.«
»Nein, das garantiere ich Ihnen. Vielleicht wird mein Kollege Landrulli dort mal einziehen.«
»Der ist doch ein teron !«
»Aber kein Schurke.«
Landrulli erwartete ihn auf dem Treppenabsatz. Stucky meinte, er solle sich nichts daraus machen, die Alte vertrete eine Südländerphobie, die schon längst aus der Mode sei. Inzwischen gebe es ja die Globalisierung, und deshalb seien Leute wie er, also Leute von jenseits der Poebene, schon fast akzeptabel geworden.
»Und was sind dann Sie, Signor Inspektor? Leute mit so einem Nachnamen?«
»Ich bin von allen Seiten abgesichert! Ich bin in Venedig geboren und meine Mutter in Schiras. In Persien. Und ihr Vater war Armenier.«
»Alle Achtung! Und Ihr eigener Vater?«
»Ja, mein Vater. Der stammt von irgendwoher.«
Treviso ist eine reizende Stadt. Man könnte glauben, sie wäre eigens erbaut und erhalten worden, um dem Auge des Betrachters ein anmutiges Ensemble von Gewässern und Gebäuden, von Winkeln und Ansichten darzubieten. Um zur Kunst anzuregen. Um die Wiege von Künstlern zu sein. Wenn man sie auf gemächlichen Spaziergängen durchquert, scheint man weniger eine physische als eine ästhetische Übung zu absolvieren. Das schöne Treviso befindet sich zum größten Teil innerhalb der Stadtmauern und reicht bis zum Lauf des Sile, der zum alten Militärbezirk hinunterfließt.
»Haben Sie hier viele Morde erlebt, Signor Inspektor?«
»Im Laufe von fünf Jahren nur drei Fälle. Und einen Fall haben wir immer noch nicht aufgeklärt.«
»Schwierig?«
»Vielleicht waren wir ihm nicht gewachsen. So was kommt oft vor. Es hängt von der Situation ab.«
»Dann wird auch dieser unaufgeklärt bleiben?«
»Wir werden dafür bezahlt, dass wir ermitteln, Landrulli. Nicht fürs Wunderwirken! Und, nebenbei bemerkt, auch nicht dafür, dass wir die Zeit vertrödeln.«
Dr. Panzuto, der mit der Autopsie des Opfers beauftragt worden war, rief am späten Nachmittag bei Inspektor Stucky an. Der Arzt bestätigte, dass der Tod durch Ersticken erfolgt sei, vermutlich gegen zweiundzwanzig Uhr, und versicherte dem Inspektor, dass dabei weder körperliche Gewalt noch sexuelle Kontakte eine Rolle gespielt hätten. »Doch da wäre noch eine Kleinigkeit«, sagte der Arzt. »Am besten, Sie bemühen sich hierher …«
Inspektor Stucky traf Dr. Panzuto in seinem Sprechzimmer an. Er war auf dem Sessel eingenickt, die Hände über dem Bauch gefaltet, die fleischige Unterlippe herabhängend. Stucky beobachtete ihn einen Moment; er wirkte so engelsgleich, als hätten seine Augen niemals Leichen und ihre Scheußlichkeiten gesehen, fast so, als hätte er niemals Gehirnschalen mithilfe von Stryker-Instrumenten entweiht.
»Herr Doktor Panzuto!«
»Ich sehe Sie, keine Sorge, Signor Inspektor«, antwortete der Mann, ohne die Augen zu öffnen. »Ich meditiere gerade und kann den Ort, den ich erreicht habe, nicht verlassen.«
»Wie lange kann sich der Mörder, Ihrer Meinung nach, Zeit gelassen haben, bis er die Frau im Schaufenster in diese Position gebracht hat?«
»Nicht mehr als zwei Stunden nach Eintritt des Todes.«
»Er hat sie erdrosselt … und sie hat sich nicht
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