Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
Intuition und die Kunst der Verführung.«
»Ein Schlag ins Wasser?«, fragte Landrulli, der schweigend zugehört hatte, während sie die Frau nach Hause begleiteten.
»Sie hat uns sagen wollen, dass sie sich kaum kannten, eine oberflächliche Bekanntschaft, dass sie keine privaten Kontakt hatten, dass keine besondere Vertraulichkeit zwischen ihnen bestand …«
»Und doch wirkt sie sehr betroffen.«
»Das stimmt.«
»Und die Familie des Opfers?«
»Sie lebte allein. Ihre Eltern sind Triestiner, und im Augenblick möchte ich, abgesehen von den Formalitäten, ihre Trauer respektieren.«
»Triestiner? Friauler …«
»Ach woher denn! Julier sind das, das sind Julier! Pass bloß auf, Landrulli!«
»Signor Inspektor, ich bin erst seit Kurzem hier, ich muss mich noch eingewöhnen …«
»Schauen wir uns mal an, wo das Opfer gewohnt hat. Doch zuerst«, fügte er hinzu, »fragen wir doch einmal Signorina Bergamin, ob sie die Schepis gekannt hat.«
»Kaum«, erwiderte die Frau, während sie um den Zeigefinder einen roten Strumpfhalter kreisen ließ, der seiner Glück verheißenden Farbe wegen wohl schon für die Sylvesternacht verkauft werden sollte.
»Sie hat sich nicht gerade oft blicken lassen.«
»Ist es überhaupt denkbar, dass eine Frau wie sie nicht auffiel?«
»Die blieb für sich. So wie es öfter vorkommt. Außerdem zieht eine Schwarze weniger Blicke auf sich als eine schöne Blonde …«
Jolanda Schepis hatte gegenüber der Piazzetta San Parisio, dem Marktplatz, gewohnt. Die Wohnung lag in einem Gebäude mit einer Steinfassade und einem Vorhof, in dem die Obststände untergebracht waren. Dort spielten Kinder, und auf den Mäuerchen ringsum saßen manchmal, vor allem an sonnigen Tagen, noch ein paar Alte. Die Leute von der polizeitechnischen Untersuchungsstelle hatten bereits ihre rituellen Arbeiten abgeschlossen.
»Und wir, haben wir überhaupt den Schlüssel?«
»Und zwar den richtigen, Landrulli! Wie würden wir denn sonst hineinkommen?«
Es war ein recht ansehnliches Domizil: zwei Bäder, eine gut eingerichtete Küche, ein Wohnzimmer mit weißen, unverstellten Wänden, ein Schlafzimmer von schlichter Eleganz. Einhundert Quadratmeter.
»Wir lassen alles dort, wo es steht und liegt! Wir sind nur hier, um uns ein Bild von der Person zu machen und um herauszufinden, ob der Mörder nach der Tat hier war. Klema hat die Schlüssel an sich genommen, nicht nur die Kleider des Opfers«, sagte der Inspektor und studierte ein an der Wand hängendes Foto des Mädchens. Sie war unverkennbar äthiopischer Herkunft. Ohne Zweifel eine sehr schöne junge Frau, mit lächelndem Gesicht, ohne jede Spur von Traurigkeit. Augen und Mund sprachen die gleiche Sprache. Jolanda aus Triest. Ein dunkelhäutiges Kind, adoptiert, in einer Grenzstadt gelandet und von dort möglicherweise geflüchtet.
Im Schlafzimmer öffnete der Inspektor vorsichtig den Schrank, betrachtete die Pullover und die Hosen. Es gab auch elegante Kleider, farblich gut kombinierbar. Tja, bei der Tätigkeit, die sie ausübte …! Er versuchte, sich an die Größe des Mädchens zu erinnern, und rief sich den Leichnam ins Gedächtnis. Ziemlich groß war sie, schlanke Taille, schmale Schultern. Der dicke schwarze Pullover, der zuoberst auf dem Stapel lag, war, wie er dem Etikett entnahm, Größe XL . Zu groß für das Mädchen, überlegte Stucky. Vielleicht hat er ihr überhaupt nicht gehört.
»Landrulli, wir halten dieses Detail mal fest. Einverstanden?«
Die Schuhe im Schuhschränkchen waren in gepflegtem Zustand. Sie liebte offensichtlich Schuhe mit Absätzen, die zum Teil sehr hoch waren. Keine Stiefel. Ihr Gang war ausgeglichen; an den Sohlen waren keine Abtretspuren zu sehen.
»Soll ich auch das notieren?«
»Nein, das nicht …«
Die Küche war wie neu, der kleine Speiseschrank enthielt das Wesentliche: Kaffee und Zucker, Salz, Öl, ein paar Packungen Nudeln, Tomatensoße in der Dose. Kein Obst, kein Gemüse, kein Käse. Im Tiefkühlfach nur abgepackte Schnellgerichte. »Sie aß immer außerhalb«, meinte Stucky, »das sind nur Notvorräte.«
»Soll ich das aufschreiben?«
»Im Hinterkopf behalten, Landrulli. In der Ruhe liegt …«
»Darf ich etwas sagen, Signor Inspektor?«
»Na, schieß schon los!«
»Das ist eine ganz unpersönliche Wohnung. Hier gibt es keinen Kalender, kein richtiges Bild, auch kein Telefon …«
»Vielleicht hatte sie eine Vorliebe für die wesentlichen Dinge. Jetzt gehen wir einmal zu den Nachbarn und
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