Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
»Womöglich hattet ihr eure Gründe. Zum Beispiel um gegen die Öffnung der Geschäfte an den Feiertagen oder gegen die Verlängerung der Öffnungszeiten zu protestieren. Oder ihr seid Menschen, die sich sehr stark mit ihrer Arbeit identifizieren, ihr seid besorgt, dass die Geschäftstätigkeit eurer Läden ins Stocken geraten könnte, und habt geglaubt, dass ihr auf ein etwas makabres Interesse bauen und auf diese Weise einen Aufschwung bewirken könntet. Das hat zweifellos geklappt. Niemals sind so viele Leute im Zentrum unterwegs gewesen wie in diesen Tagen. Doch jemand hat sich die Unruhe, die ihr provoziert habt, zunutze gemacht, und nun weilt Signorina Schepis nicht mehr unter uns.«
Die Spannung war mit Händen zu greifen; eines der Mädchen schluchzte nervös auf und verschmierte mit einer unkontrollierten Handbewegung das sorgfältige Make-up um das rechte Auge. Nur Signorina Bergamin blickte Stucky direkt an.
»Und, wenn ihr erlaubt, möchte ich dem hier anwesenden Agente Landrulli gern erzählen, wie die Sache gelaufen ist. Ich gehe davon aus, dass ihr alle darüber informiert seid …Signorina Leonardi, die eine gewisse – übrigens auf Gegenseitigkeit beruhende – Sympathie für meinen Kollegen Martini hegte, hatte bei einem der Besuche, die sie ihrem Onkel, dem Kommissar, abstattete, vertrauliche Mitteilungen über anonyme Anrufe aufgeschnappt. Unser Martini selig hat die Sache nicht ernst genommen, die Anzeigen in eine kleine Mappe abgelegt und gehofft, dass die Angelegenheit bald vergessen würde.
In gewisser Hinsicht hatte er recht: Wahrscheinlich sind alle telefonischen Belästigungen dem heißblütigen Magister Manzoni zuzuschreiben, und es ist klar, dass der alte Herr niemandem, wirklich niemandem, durch die Laubengänge und Gassen der Stadt hätte folgen können. An diesem Punkt nun, lieber Landrulli, ist etwas Merkwürdiges passiert: Signorina Bergamin hatte ebenfalls so einen lästigen Anruf erhalten, und als sie sich mit Signorina Leonardi darüber unterhielt, kam ihr eine hübsche Idee. Die Versuchung muss tatsächlich groß gewesen sein! Jemand erhitzt sich so sehr, dass er den Belästiger spielt, und damit bietet sich eine Gelegenheit auf dem Silbertablett dar: So könnte man ein bisschen Wirbel um eine noble Tätigkeit machen und sie dadurch aufwerten. Signorina Bergamin, der ich auch große Träume zutraue, hat mithilfe ihres Bibliothekar-Freundes und dieser kleinen sympathischen Gruppe miteinander befreundeter Kolleginnen eine regelrechte Weihnachtsaufführung geplant: eine Serie vorgetäuschter Attacken durch sportliche Delinquenten, die so gut trainiert waren wie der Läufer und Olympiasieger Pietro Mennea zu seinen besten Zeiten. Ein Riesenspaß das Ganze! Wer weiß, wie oft ihr euch hinter dem Rücken des armen Inspektor Stucky amüsiert habt! Euch all diese Dinge auszudenken: eine Praline in der rechten Tasche und eine in der linken Tasche; ein Turnschuh und ein Militärstiefel ….«
Er hielt inne, um Atem zu schöpfen.
»Wer ist eigentlich auf die fantastische Idee mit den Pralinen gekommen?«, fragte er schließlich.
Signorina Ricci hob den Finger.
»Bravo, Signorina Ricci! Das war eine Finesse, die uns viel Hirnschmalz gekostet hat! Wäre da nur nicht die Sache mit der Schepis gewesen. Bekanntlich eröffnen manche Vorfälle auch ungeahnte Chancen. Natürlich wisst ihr genau, dass die Vortäuschung einer Aggression als Straftat gewertet wird. Aber jetzt besteht die Möglichkeit, dass ihr die Gesellschaft entschädigt. Deshalb bitte ich euch um Folgendes …«
»Sind Sie sicher, dass das funktionieren wird?«, fragte Landrulli nach Beendigung des langen Gesprächs.
»Sie werden sich wie Schülerinnen benehmen, du wirst schon sehen. Besorge dir bitte die Ausdrucke mit den Telefonverbindungen der Schepis. Und …«
»Ja?«
»Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass die Schepis noch eine andere Wohnung hatte. Prüf nach, wer der Empfänger dieser monatlichen Zahlung war.«
Er fragte sich auch, aus welchem Grund eine junge Frau eine Rechnung des Hotel Cipriani beglichen haben sollte. Eine Frau, die eine Hotelrechnung selbst bezahlte, war etwas Neues für ihn. Vielleicht eine Generationenfrage.
Bis Asolo würde er weniger als eine Stunde brauchen.
Stucky fuhr gemächlich mit dem Auto in Richtung Possagno und gelangte dann, zwischen sanften Hängen und über kurvenreiche Straßen, sozusagen durch den Hintereingang nach Asolo. Wenn es in dieser Gegend einen Ort gab,
Weitere Kostenlose Bücher