Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
standen am Rande des Abgrunds. Die Konkurrenz erhob sich wie ein Ungeheuer aus dem Meer, und mein Labortechniker hatte, ohne mein Wissen, das örtliche Gesundheitsamt betrogen, und zwangsläufig wäre jetzt eine Inspektion fällig, und unser Betrieb würde durch eine gewaltige Geldstrafe in den Ruin getrieben.
Ich geriet in Versuchung, Filiberto zu packen und in einer der Parzellen der Deponie zu versenken, aber mir fiel ein, dass er vielleicht Familie hatte. Möglicherweise würde jemand Verdacht schöpfen. Also dann Entlassung. Aber warum eigentlich?, überlegte ich. Er war zuverlässig gewesen, in gewisser Hinsicht jedenfalls. Für das Geld, das er verlangt hatte, hatte er nur die Fotokopien gemacht. Und den Rest wahrscheinlich einfach behalten. Aber sein Budget hatte er nie überzogen. Alles in allem also ein korrekter Typ.
Ich ließ den Blick zum Horizont schweifen, innerlich bereit, jederzeit das Dienstauto der Inspektoren des Gesundheitsamts auftauchen zu sehen, und gleichzeitig beobachtete ich die schwarze Silhouette der Müllverbrennungsanlage, die die aufgehende Sonne verdeckte und seit dem ersten Morgengrauen eine dünne Rauchfahne ausstieß. Ich folgte mit dem Blick dem Verlauf dieser bösartigen Emission, die hoch und höher stieg, sich immer weiter verdünnte, um sich schließlich in der Luft zu verlieren und manchmal seltsame Formen anzunehmen, sie kräuselte sich, verästelte sich plötzlich, zerfiel in gerade Abschnitte, die mal parallel zum Boden dahinzogen, mal senkrecht in den Himmel aufstiegen wie ein Überschalljet. Da ist mir die Idee gekommen, dass es zwischen dem, was verbrannt wurde, und der Form, die der Rauch bildete, einen Zusammenhang geben könnte. Ich habe Antonietta gesagt, dass sie sich Notizen über den Rauch machen sollte: Wir werden die Konkurrenz unter Druck setzen. Mit einem Skizzenheft habe ich sie auf einem Stuhl vor dem Tor der Deponie Posten beziehen lassen, damit sie die verschiedenen Formen des Rauchs aufzeichnete. Die Mamma habe ich wieder mit dem Wiegen und dem Kassieren der Gebühren beauftragt, zumal die Hündin inzwischen alles allein schaffte und die Welpen längst groß waren. Während Antonietta den Himmel betrachtete, vergaß sie sich aber und dachte, die Nase in der Luft, an wer weiß was. Der Hintergrund verführte sie zum Fantasieren. Innerhalb von zwei ganzen Tagen hatte sie kein einziges Wölkchen hingekritzelt, während die Verbrennungsanlage in dieser Zeit zentnerweise Dreck in die Luft gepafft hatte.
Dann habe ich Antonietta wieder an die Waage gesetzt, die Mamma zum Waschen der Lkw-Reifen und die Nonna zum Rauchzeichnen abkommandiert. Ich wusste ja, dass sie eine künstlerische Ader hatte. Manchmal frage ich mich, ob heute überhaupt noch Frauen dieses Schlags auf die Welt kommen beziehungsweise was aus ihr hätte werden können, wenn sie von adliger Geburt oder zumindest eine wirklich reiche Frau gewesen wäre. Sie hätte sich durch Stählung zum Herrschertyp entwickelt, zu einer Frau, die keine Zeit damit verplempert hätte, die Wäsche anderer Leute zu waschen, und sich nicht damit begnügt hätte, am Fenster zu sitzen und den Kutschen und den Automobilen zuzuschauen; eine, die dem Herrn des Hauses nicht die Unterhosen gewaschen oder den Brandy in den Kaffee gegossen hätte. In ihrem Fall schaffe ich es, eine solche Natur zu tolerieren. Sie hat etwas im Blick, eine besondere Kraft in den Händen, wenn sie dich packt und an sich zieht, um dir irgendetwas zu sagen, fast, als würde sie deine ganze Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Sie erzählt von ihrer Zeit, die davongeflogen ist, von ihrer Jugend, die sie auf dem Acker verbracht hat, mit Feldarbeiten, und von ihren Brüdern, vom Staub der Mühle und vom frischen Wasser, aber das alles sind Kulissen wie in einem Theater. Hinter diesen Erinnerungen verbirgt sich eine Nostalgie, ein schemenhaftes Leben; sie war woanders und hat uns nie gesagt, wo. Dann hat sie diesen Krebs in der Kehle entwickelt, ist operiert worden und spricht nur von Zeit zu Zeit, wobei sie die Finger auf diesen Stöpsel legt, den man ihr am Hals angebracht hat. Aber ihre Hand ist immer noch fest. Sie beobachtet den Rauch der Verbrennungsanlage und hält ihn mit wenigen Strichen fest, schreibt mit ihrer Schönschrift von anno dazumal, die gerundet ist und voller Schnörkel, das Datum der Zeichnung dazu.
Ich bin dann zur Konkurrenz, um denen meine Reverenz zu erweisen. Ein taktischer Zug, und ein wenig wollte ich auch einen
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