Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
brennen und andere Lichter am undeutlich erkennbaren Hang blinken sah, war seine Stimmung bereits von leichter Bitterkeit getrübt.
Unerwartet überreichte ihm der Mann an der Rezeption einen Brief von Signor Maestrali, der sich zu dieser späten Stunde bereits in seine Gemächer zurückgezogen hatte.
Ich möchte Sie noch auf eine Kleinigkeit aufmerksam machen, die ich vorhin außer Acht gelassen habe. Signorina Schepis hatte einen Autodienst vom Bahnhof in Mestre bis zum Hotel vorbestellt. Für genau neun Uhr dreißig am Sonntagmorgen. Die Fahrt kam nicht zustande, da sich kein Kunde meldete. Ich hoffe, Ihnen hiermit gedient zu haben.
Stucky ging unter den diskreten Blicken des Personals in sein Zimmer hinauf und wich auf den Fluren manch stummer Gestalt aus, die hier sicher nicht rein zufällig herumschlich.
Er schlief auf derselben Matratze ein, auf der Jolanda Schepis in ihrer Einsamkeit geschlafen hatte.
»Wir haben das erste Weihnachten seit Aufnahme unseres Betriebs gefeiert. Für unsere Familie ist Weihnachten das wichtigste Fest des Jahres, für alle mit viel Gefühl beladen. Mit sehr viel Gefühl. Finanziell standen wir gut da, kein Grund, das zu leugnen. Besser als mit der Kiesgrube. Besser als Zahnarzt zu sein, sagte die Großmutter. Ich habe einen Trinkspruch ausgebracht.
Am Donnerstag, dem 9. Januar, haben wir dann vierhundert Meter von unserem Grundstück entfernt, auf dem der Cavasins, eine große Unruhe bemerkt. Dort waren Autos, ein paar Lastwagen und ein Bagger aufgefahren, und man sah einen ganzen Trupp Arbeiter und, was das Schlimmste war, einen Herrn mit einem aufgefalteten Plan in den Händen. Ich war gerade unterwegs, um die Deponie in Betrieb zu setzen, da sehe ich diese Prozession und dazu diesen Mann, der wie ein Ingenieur auftrat. Ich bremste ab. Einer der Lkws trug die Aufschrift ›Baufirma Foltran‹. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Kaum war die Mamma da, habe ich sie ins Rathaus geschickt, um herauszufinden, ob die dort irgendeine Baugenehmigung erteilt hatten.
Keine Eigentumswohnungen, sagte die Mamma beruhigend. Sie errichten eine Verbrennungsanlage.
Ach gut, habe ich mir gesagt. Dann vertreten wir zwei unterschiedliche Sektoren der Entsorgungsindustrie, und während ich dieses Wort, Industrie, noch im Ohr hatte, begriff ich, was das Problem war, und habe meine Deponie angeschaut, die Fläche mit den Hügeln, die an die sanften Abhänge von Ruanda erinnerten, die offenen Fronten verrotteter Abfälle, die Fumarolen, die Schornsteine, die rauchten, das Gärungsgas, und habe kapiert, worum es ging: Wir waren nichts anderes als ein Loch, in das wir den in Plastikfolie gewickelten Müll hineinwarfen. Ein Riesenloch. Und dort, praktisch neben uns, errichtete man jetzt ein technisches Ungeheuer, einen ganzen Wald aus Röhren, Kesseln und Kaminen, mit Manometern, elektrischen Drähten, Schalttafeln, Kontrolllampen und Sensoren; mit elektronischer Kontrolle, Tabellierung von Daten, spektrofotometrischen Analysen und anderem Teufelszeug. Teufelszeug, jawohl! Wie ein Höllenschlund, der an der Oberfläche auftaucht, an der völlig falschen Stelle.
Diese Hölle würde erst einmal die leicht entflammbaren Dinge verbrennen, die Kartoffelsäcke, die Omnibusfahrkarten, Schalen von Orangen und Haselnüssen. Dann würden sie expandieren: Plastik, Holz und wer weiß, vielleicht auch Keramikscherben und Mörtelstücke würden in diesem Brennofen landen, möglicherweise auch Autowracks; die Metallteile würden in separate Container geschüttet, zusammengepresst und an die Industrie zurückgeschickt. Die Leute von der Industrie würden sich freuen, sie würden ihnen den ›Cavaliere‹-Titel verleihen und sie mit Huldigungen und Artikeln in den Zeitungen überschütten. Denn warum den Müll zerkleinern und ihn zu guter Letzt auf eine Deponie werfen? Warum sollte man ihn nicht gleich in die Hölle schicken, eine Stichflamme und, zack!, weg ist er, und alles geht zurück auf null, alles wird getrennt und wiedergewonnen …
Ein Albtraum!
Ich beobachtete die Schnelligkeit, mit der die Konkurrenz vorging. Lastwagen luden Materialien ab, Rohre und Blechteile. Das Grundstück wurde eingezäunt, Schilder wurden aufgestellt. Die Fundamente wurden an einem Vormittag gegossen, die ersten Mauern am Tag darauf hochgezogen, dann der Schornstein, der sich wie eine Riesenzigarre in die Höhe reckte. Die Arbeiter, nimmermüde, liefen von einem Teil zum anderen, unter der Leitung jenes distinguierten
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