Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
öffnete; die zusammengebündelten Zeitungsstapel lagen vor den Rollläden. Vom Serienkiller der Verkäuferinnen zu reden würde den Schreibern wohl verlogen vorkommen. Trotzdem mussten sie in diesen letzten ruhigen Tagen, ohne einen großen Knüller, regelrecht gelitten haben.
»Signor Inspektor, die werden dafür sorgen, dass Sie auch über Weihnachten Überstunden machen müssen!«, sagte der Kioskbesitzer, als er ihm die Lokalzeitungen überreichte.
Verwundete Stadt, Die Ermittlungen der Polizei kommen nicht voran, Vorweihnachtliche Stimmung getrübt lauteten die Schlagzeilen, und Alessi spekulierte in seiner Zeitung über die geisterhaften Erscheinungen der Schepis-Kleider, über einen reumütigen Mörder, der den wahnwitzigen Versuch unternahm, sein Opfer dadurch wieder zum Leben zu erwecken, dass er dessen äußeres Bild wiederherstellte.
Selbstverständlich kein Kommentar seitens des Polizeipräsidenten.
Kein Kommentar. Den würde er aber zu hören bekommen. Und wie! Sobald der Kommissar wach war.
Stucky brauchte dringend einen Espresso, bevor es losging. Die Stadt schlief mitsamt ihren Bars, und auch die Espressomaschinen, denen der nötige Druck fehlte, schlummerten vor sich hin. Untröstlich ging er zum Bahnhof, zu einem Büfett mit heißen Getränken. Dann begab er sich zu einem Automaten, der Fahrplanauskünfte ausspuckte, und gab das ein, was er wissen wollte: Um neun Uhr vierundzwanzig trafen zwei Züge in Mestre ein. Einer aus Mailand und der andere aus Triest. Sein vernachlässigter Bart juckte. Weihnachten stand vor der Tür.
Er verbrachte den Tag damit, die Telefonate aller möglichen Dienststellen entgegenzunehmen. Niemand war geneigt, an einen zufälligen Unfall zu glauben, und Stucky bemühte sich auch nicht, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Der Sekretär des Bischofs war, wie zu erwarten, wieder einmal brillant: »Die Macht des Bösen setzt uns jeden Tag mehr in Erstaunen.«
»Da haben Sie recht, Monsignore.«
»Wir haben gebetet, dass es zu keiner weiteren Tragödie kommen möge.«
»Vielleicht nicht mit der gebotenen Intensität, Monsignore …«
Stucky bemerkte sofort, dass er in die Falle getappt war.
»Womöglich haben wir nicht richtig eingeschätzt, worum wir den Herrn in unseren Gebeten bitten sollten. Vielleicht hat es nicht ausgereicht, ihn zu bitten, die Gesetzeshüter bei ihrem Tun zu erleuchten …«
»O, ich verstehe …«
»Vielleicht sollten wir darum beten, dass die Gesetzeshüter Schritt für Schritt von Unserem Herrn Jesus geführt werden ….«
»Das wäre wohl besser…«
»Wir werden das korrigieren.«
Er überlegte, dass er den Sekretär des Bischofs später einmal gern persönlich treffen würde.
Am Abend breitete ihm Landrulli die medizinischen Gutachten auf dem Schreibtisch aus, die den Ernst des Zustands von Signora Veneziani bestätigten, und die ersten Informationen, die er über das neue Opfer hatte einholen können. Stucky ging sie durch. Nichts Entscheidendes. Eine Handelstätigkeit in einer Immobilie, die zur Hälfte ihr selbst gehörte – das gefiel ihm nicht. Zumal sich die andere Hälfte im Besitz von Signor Springolo befand. Der Inspektor blieb, wenn auch nur mit Bauchgrimmen, bei der Vorstellung, dass es sich doch um einen Unfall gehandelt hatte. Ein unfallflüchtiger Fahrer, unterwegs auf vorweihnachtlicher Straße.
Landrulli hatte auch ermittelt, bei wem der Fixbetrag gelandet war, den die Schepis jeden Monat von ihrem Konto überwiesen hatte, nämlich bei einem Mann aus Belluno, der in der Stadt vier kleine Wohnungen besaß und eine davon an sie vermietet hatte.
»Ich hab’s doch gleich gesagt!«, rief Stucky aus. Er zupfte an seinem linken Ohrläppchen herum und fragte sich, ob er sofort hingehen und nachsehen oder doch lieber erst die polizeitechnische Untersuchungsstelle mobilisieren sollte. Er selbst fühlte sich inzwischen viel zu befangen.
»Landrulli, warum hatte Signorina Schepis zwei Wohnungen? Um sich nicht von der alten Pitzalis kontrollieren zu lassen?«
»Na klar! Sie wollte ihre Privatangelegenheiten doch nicht vor dieser alten Rassistin ausbreiten. Signor Inspektor, meiner Meinung nach hatte sie einen …«
»Ach, einen Zweitjob …?«
»Signor Inspektor, auch sie hat sich hier akklimatisiert … Aber wollen Sie nicht selbst hingehen und sich gleich einen Eindruck verschaffen?«, murmelte Landrulli verzagt.
»Antimama! Bist du verrückt? Willst du, dass der Staatsanwalt und der Polizeipräsident mich dazu
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