Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
schaffen. Sie mochte die Straßen rund um die Unterkunft nicht, aber bei Nacht mochte sie sie noch weniger.
Sie war beinahe beim Gefangenenbogen angelangt, als fünf Männer mit gezogenen Messern vor sie traten.
Als sie ihr die Kapuze vom Kopf nahmen, befand sie sich in einem weitläufigen, dunklen Raum. Das Licht kam von einem eisernen Kerzenleuchter weiter oben, aber es hätte sie nicht überrascht, wenn es Fackeln gewesen wären. Soldaten mit gespannten Bogen standen auf beiden Seiten, bildeten eine unglaublich hoch aufragende Mauer aus Männern. Und vor ihr war eine riesige schwarze Bank, auf der sich der Lordregent Geder Palliako befand. Clara spürte, wie die Angst begann, sie durchzuschütteln. Der Geist, zu dem sie geworden war, heulte und wandte sich furchtsam ab, und sie begleitete ihn ein ganzes Stück. Hinter ihr stand der Hohepriester, wo sie ihn nicht sehen konnte, aber Geder konnte es.
»Clara Kalliam«, begann Geder. »Vergebt mir die Störung, aber ich habe einige Fragen, die ich unbedingt an Euch richten muss. Wenn Ihr mich belügt, werde ich es wissen, und Ihr werdet leiden. Sehr sogar. Versteht Ihr das?«
Ihr Mund war trocken. Wie war sie hierhergekommen? Was hatte sie getan? Es war, als wäre sie eingeschlafen und in einen Albtraum geraten, aus dem sie nicht erwachen konnte. Sie fühlte sich, als hätte man sie bei etwas ertappt, aber sie wusste nicht, wobei.
»Ich höre, Ihr wohnt nicht mehr im Haus Eures Sohnes«, sagte Geder. »Stimmt das?«
Ihr Atem ging so keuchend, dass sie fürchtete, nichts herauszubringen. Würde Schweigen als Lüge gewertet werden? Sie wollte nicht daran denken, was er ihr antun könnte. Was er tun würde.
»Das stimmt«, stieß sie hervor.
»Weshalb das?«
»Meine Anwesenheit macht es Jorey und Sabiha schwer, sich von den Erinnerungen des Hofes an Dawson zu lösen.«
»Habt Ihr Euch mit Ogene Faskellan getroffen?«
»Ja. Wir haben uns mehrmals getroffen.«
»Habt Ihr Euch mit Ana Mecilli getroffen?«
»Ja. Zweimal, glaube ich.«
Rechts von ihr bewegte sich einer der Soldaten ein wenig, ein scharfes und trockenes Geräusch. Ihr Herz raste.
»Seid Ihr mir treu ergeben?«, fragte Geder.
Clara schüttelte den Kopf, nicht, um Nein zu sagen, sondern: Das kann ich nicht beantworten .
»Seid Ihr mir treu ergeben?«, fragte er noch einmal, und seine Stimme wurde schärfer.
»Ich denke von Euch weder so noch so, mein Lord«, sagte sie.
Das Geräusch raschelnder Stoffe drang hinter ihr heran.
»Tatsächlich?«, fragte Geder. Er wirkte ehrlich verwirrt.
»Ihr seid der Lordregent und der Mann, der meinen Gemahl getötet hat, und Joreys Freund vom Feldzug. Ihr seid der Mann, der mir geholfen hat, Feldin Maas bloßzustellen. Aber nichts davon hat Auswirkungen auf das, was ich tagtäg lich tue. Ich nehme an, bis zu einem gewissen Grad sollte es anders sein, aber ich verbringe meine Zeit gewiss nicht damit, über diese Frage nachzudenken.«
»Ihr habt Euch mit all diesen Leuten getroffen. Tut Ihr Euch gegen mich zusammen?«
Sie lachte. Es war keine Absicht. Wenn sie nachgedacht hätte, wäre es ihr nicht herausgerutscht, aber da war es schon passiert, und der Bogenschütze tötete sie nicht dafür.
»Nein. Bei Gott, nein. Dieser Gedanke ist mir nie gekommen. Ich habe versucht, meine Familie zusammenzuhalten.«
»Eure Familie?«
»Ja. Barriath ist fort und hat kaum jemandem Bescheid gesagt. Jorey und Sabiha machen eine schreckliche Zeit durch, und sie sind noch nicht einmal ein halbes Jahr verheiratet. Vicarian ist der Einzige, den die ganze furchtbare Angelegenheit nicht versehrt hat. Nun, und dann ist da noch Elisia. Ihr scheint es ganz gut zu gehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie glücklich ist. Nicht wirklich.«
»Oh«, sagte Geder.
»Und weil Dawson nicht mehr da ist, gibt es natürlich niemanden, der es alles zusammenhält. Es gibt nicht einmal das Haus, das, wenn man darüber nachdenkt, eigentlich eine ziemlich schwache Art ist, eine Familie zusammenzuhalten, aber früher hatten wir es, und jetzt nicht mehr. Daher diese ganzen Spaziergänge.«
Hör auf, hör auf, hör auf , dachte sie, aber ihre Zunge stolperte ohne sie weiter.
»Und dann ist da die Frage des Trauerns. Wie lange wartet man, denn einerseits gibt es am Hof einen richtigen und einen falschen Weg, aber ich bin nicht mehr am Hof, also weiß ich nicht, welche Regeln zutreffend sind. Ich muss einfach weitermachen und sie erfinden. Es ist schrecklich. Wirklich
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