Dolly - 01 - Dolly sucht eine Freundin
konnte oder nicht. Dolly fand die Aufgaben sehr leicht, aber Evelyn stöhnte fürchterlich. Ihre langen Haare hingen bis auf das Pult. “Was ist los, Evelyn?” fragte Fräulein Pott. “Meine frühere Lehrerin hat mir niemals gezeigt, solche Aufgaben so zu rechnen”, jammerte Evelyn. “Sie schrieb sie ganz anders.” “Jetzt wirst du sie auf meine Art rechnen lernen müssen”, sagte Fräulein Pott.
“Übrigens, Evelyn, warum hast du deine Haare nicht gekämmt?”
“Habe ich doch”, sagte Evelyn und hob ihre blauen Augen. “Mindestens vierzigmal gebürstet.”
“Mag sein”, sagte Fräulein Pott, “aber mit dieser Zottelmähne kannst du nicht zum Unterricht kommen. Nach dem Frühstück wirst du dir Zöpfe flechten.”
“Zöpfe?” fragte Evelyn ungläubig, während die übrige Klasse zu kichern begann. “Aber ich habe nie…”
“Keine Widerrede”, sagte Fräulein Pott. “Wenn du deine Haare nicht flechten kannst, damit sie nicht mehr so liederlich aussehen, mußt du sie dir abschneiden lassen.”
Evelyn schaute so entsetzt drein, daß Dolly mit Not und Mühe ein lautes Lachen unterdrückte.
“Habe im es dir nicht gleich gesagt?” flüsterte Alice, sobald Fräulein Pott sich umdrehte, um etwas an die Tafel zu schreiben.
Evelyn sah sie böse an und schnitt ihr ein Gesicht. Als ob Mama jemals zuließe, daß von dem schönen langen Haar auch nur ein Zentimeter abgeschnitten wurde! Und nun sollte sie es flechten! Sie hatte gar keine Ahnung, wie man das machte.
Der Vormittag ging weiter, es kam die Frühstückspause, und die Mädchen stürmten hinaus. Manche liefen schnell zu den Tennisplätzen, andere gingen im Hof spazieren.
Dolly wäre gern mit Alice gegangen, aber die wanderte mit Betty umher, und die beiden wünschten sicherlich keine Dritte dabei. Dolly sah sich nach den anderen Neuen um.
Evelyn war nicht zu sehen; vielleicht versuchte sie, sich Zöpfe zu flechten.
Susanne Hoppe saß allein und mit verschlossenem Gesicht auf dem Rasen.
Dolly ging zu ihr hinüber. “Wie findest du Möwenfels?” fragte sie. “Mir gefällt es.”
Susanne sah höflich auf, “Es ist nicht übel”, meinte sie. “Warst du traurig, weil du deine frühere Schule verlassen mußtest?” fragte Dolly. “Ich wollte gern hierher, aber daß ich meine Freundinnen zurücklassen mußte, gefällt mir weniger. Hat dir das auch so leid getan?”
“Ich hatte eigentlich gar keine richtigen Freundinnen” ,sagte Susanne nachdenklich.
Merkwürdig, dachte Dolly. Es war schwierig, etwas von Susanne zu erfahren. Sie war höflich und antwortete auf Fragen, stellte aber ihrerseits keine einzige. Hoffentlich muß ich mich nicht mit ihr befreunden, dachte Dolly schließlich. “Du liebe Zeit, da kommt Evelyn!
Ob sie sich einbildet, daß ihre Frisur jetzt vernünftig ist? Sie sieht ja noch wüster aus als vorher!”
“Geht mein Haar so?” fragte Evelyn klagend. “Ich habe immer wieder versucht, Zöpfe zu machen. Es ist einfach gemein von Fräulein Pott, daß sie mir nicht erlaubt, es so zu tragen wie immer. Im kann sie sowieso nicht leiden.”
“Komm, ich helfe dir, Evelyn”, sagte Dolly und sprang auf. “Sicher hat es dir noch niemand gezeigt, wie man richtig flechten muß!” Mit flinken Fingern flocht sie Evelyns lange Mähne zu zwei Zöpfen und band die Enden mit schmalen Bändern zusammen.
“So”, sagte sie und drehte Evelyn zu sich um. “Nun siehst du viel netter aus!”
Evelyn blickte sie finster an und vergaß sogar, sich für die Hilfe zu bedanken. Aber sie sah jetzt wirklich viel ordentlicher aus. Wie verzogen sie ist, überlegte DoIly. Nun, so wenig ich mit Susanne Freundschaft schließen möchte – mit Evelyn schon gar nicht.
Es läutete, Scharen von Mädchen rannten in ihre Klassenzimmer. Dolly begann ebenfalls zu laufen. Sie fand ihre Klasse sofort, und sie kannte auch schon eine ganze Reihe Mädchen mit Namen. Sicherlich würde sie in Möwenfels bald wie zu Hause sein!
Die erste Woche
Bald fand Dolly sich in alles hinein. Sie kannte jetzt schon die Namen aller Mädchen aus dem Nordturm – und nicht nur aus ihrer eigenen Klasse -: von Pamela, der Sprecherin, bis hinunter zu Marlies, der zweit jüngsten Mitschülerin. Die jüngste war zwar Dolly selbst, aber diese Marlies kam ihr sehr viel jünger vor, weil sie so ängstlich war. Sie fürchtete sich vor Mäusen, vor Käfern, vor Gewitter, vor nächtlichem Lärm, vor der Dunkelheit und vor hundert anderen Dingen. Arme Marlies – kein Wunder, daß sie so
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